Reverb Foundry Tai Chi

Kreativ-Hall-Plug-In mit Charakter

Autor Peter Kaminski

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Mit Tai Chi hat Reverb Foundry im November 2021 sein drittes Plug-In veröffentlicht. Reverb Foundry ist eine Schwesterfirma von Liquid Sonics, von denen wir schon mehrere Plug-Ins vorgestellt haben wie Cinematic Rooms und Lustrous Plates Surround.

Voraussetzungen und Installation

Das Plug-In läuft sowohl auf Windows (ab Windows 7) als auch auf macOS (ab 10.9) und steht als VST 2.4, VST 3, AAX sowie AudioUnit (nur macOS) zur Verfügung und zwar ausschließlich für 64-Bit DAWs und Betriebssysteme.

00 taichi install

Die Installation erfolgt über eine Installer, der auch die Auswahl gestattet welche Formate installiert werden sollen. Der Hersteller empfiehlt leistungsstarke CPUs (ab 2019) wie Intel 10. oder 11. Generation mit mindestens sechs CPU Cores - besser acht. Das heißt also, dass die vom Hersteller genannten Systemanforderungen durchaus nicht ohne sind. Wir werden sehen, was sich in unser Praxistest in diesem Punkte ergibt. Als Kopierschutz dient der iLok (USB 2 oder 3, Cloud oder lokal) wobei zwei Aktivierungen möglich sind.

Versionen

Zunächst einmal muss man darauf hinweisen, dass es zwei Versionen von Tai Chi gibt und zwar die Standardversion mit vollen Funktionsumfang und die Version Tai Chi Lite mit eingeschränktem Funktionsumfang. Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf die Vollversion. 

01 stereo

Ganz oben im Plug-In neben dem Firmenlogo lasst sich ein Preset anwählen und der Anwender kann zwischen zwei Presets hin- und herschalten (A/B).  Darunter gibt es die Sektion mit den wichtigsten Parametern, aufgeteilt in fünf Gruppen, die über fünf Reiter anwählbar sind. Daneben befindet sich ist die Ausgangssektion und zwei Sektionen mit Filtern für die hohen und tiefen Frequenzen und links daneben eine Sektion zur Beeinflussung der Hallzeit, aufgeteilt in Frequenzgruppen.

08 lite

Bei der Tai Chi Lite Version (s. Abb. oben) ist der obere Bereich mit der Vollversion identisch. Es fehlen aber die Bereiche mit den beiden Filtern und der Bereich für die frequenzabhängige Hallzeiteinstellung. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass die Lite Version auf Stereobetrieb begrenzt ist - also nicht Surround- oder 3D-Audio-fähig ist.

Die Standardversion unterstützt zurzeit des Tests Formate bis neben Mono, Mono auf Stereo, Stereo, LCR, Quadro, 5.x,  7.x sowie 7.x.2. Angekündigt ist aber, dass in Zukunft bei der Standardversion auch das Format 7.x.4 unterstützt wird. Der LFE bleibt bei den Mehrkanalformaten unbehandelt.

Bedienung

07 1 interface scaling

Über das Zahnrad-Symbol sind diverse Plug-In-Konfigurationen möglich, wie die Größe des Plug-Ins, die sich erfreulicherweise fein einstellen lässt.

07 2 presets config

In dem Setting-Submenü Preset lassen sich drei weitere Optionen einstellen und zwar mit "Reflection Chorus" die Art wie der Chorus auf die Early Reflections wirkt nämlich gar nicht oder in drei Stärken oder dass die Chorus-Einstellung vom Reverb für die Early Reflections übernommen werden. Mit dem "Reflection Timing" kann der Anwender Einstellen wie das Pre-Delay wirkt und zwar ob es sich relativ zum Einsatz des Reverbs oder relativ zum Dry-Signal verändert. Mit "Reverb Processing" kann man wählen, ob eine richtige Stereobearbeitung erfolgen soll oder eine Mono-auf Stereo-Verarbeitung, wobei letzteres eine geringere CPU-Last verursacht. 

07 3 surround

Mit dem Parameter "Surround" lässt sich das Processing des Center-Kanals einstellen und zwar ob das Übersprechen der anderen Kanäle auf den Center-Kanal unterdrückt werden soll oder ob der Center-Kanal nicht verhallt werden soll. Ist hier nichts aktiviert, so wird der Center-Kanal so behandelt wie die anderen Kanäle auch. Mit den beiden Optionen lässt sich erreichen, dass besonders wenn Stimme/Gesang auf dem Center liegt oder auch Drums, dieser konkreter in der Mitte lokalisierbar bleibt. 

07 4 meter sel

Über den Pfeil nach unten lässt sich die Anzeigebetriebsart des Meters einstellen und zwar ob Ein-, Ausgangs-, Early-Reflections- oder der Reverb-Pegel angezeigt wird. Die letzten beiden Betriebsarten lassen sind bei den meisten anderen Hall-Plug-Ins nicht ausgeben, sind aber zur Feinjustierung für den erfahrenen Anwender durchaus interessant.  

04 1 meter drywet

In der Sektion OUTPUT MIX lässt sich neben dem Verhältnis Effektsignal/Originalsignal und dem Ausgangspegel auch noch das Pegel-Verhältnis von Early Reflections zu Reverb Tail einstellen (s. Abb. oben). Jeder Parameter bei Tai Chi lässt sich über Anklicken des Schloss-Symbols auch vor versehentlichen Veränderungen schützen (s. oben ab Beispiel von Wet).

03 1 master

Kommen wir nun zu den fünf über Reiter anwählbaren Parametersektionen. In der Sektion MASTER (s. Abb. oben) lässt sich die RT60-Nachhallzeit, ein Pre-Delay und die Reverb Width (Basisbreite des Reverbs inklusive der Early Reflections) einstellen. Pre-Delay kann der Anwender über einen virtuellen Schalter (Symbol Metronom) auch mit dem DAW-Takt synchronisieren und wir bei Taktänderung in diesem Fall automatisch nachgeführt. Auf der rechten Seite sind weiter Parameter. So lassen sich verschiedene Early-Reflections-Muster anwählen und die Abstände der Einzelreflexion verschieben und es gibt noch ein in der Frequenz einstellbares Roll-Off-Filter. Bei Filter lässt die Steilheit auch zwischen 6 und 24 dB einstellen.

03 2 advanced

Der Sektion ADVANCED muss man besonderer Aufmerksamkeit schenken. Da sind zunächst Parameter die Einfluss auf die Dichte und Diffusion des Halls haben, aber auch der Chrorus lässt sich hier einstellen.  Der Chorus wirkt in den einzelnen Reverb-Delay-Loops und mit dem Parameter "Chorus" lässt sich der Grad der Modulationsgröße, mit "Mod Rate" die Modulationsfrequenz und mit "Wander" wird eine maximale Versatzzeit eingestellt, mit der ein Reverb-Tab beim Nulldurchgang zufällig verschoben wird. Ein schwer zu beschreibender Parameter, bzw. vorstellbarer Effekt, dessen Wirkung man einmal ausprobieren sollte. In der Regel wird man hier eher vorsichtig mit umgehen.

Über den Reglern gibt es noch vier anwählbare Chorus-Betriebsarten und zwar "Thicken Chorus" für einen sehr starken Chrorus-Effekt, "Enrich" quasi die Normaleinstellung, "Drift" bei dem die Reverb Loop Chorus nicht synchronisiert sind und der Mode "Detune" bei dem eine besonders große tonale Verstimmung hörbar wird. 

03 3 dynamics

In der Sektion des Reiters Dynamic lässt sich ein Kompressor aktivieren, der auf verschiedene Arten wirkt, was man oben über die Kompressor-Betriebsart einstellen kann. Mit den ersten drei Modes schaltet man mit "Off" den Kompressor/Ducker komplett aus oder bei "Reverb" befindet sich dieser nur im Reverb-Pfad ohne die Early Reflections, und bei "Wet" sind auch die Early Reflections eingeschlossen. Bei Anwahl von "Duck" erfolgt eine Hüllkurven-Detektion vom Eingangssignal (Dry) und bei "Compressor" vom bearbeiteten Signal (Wet). Zu den Kompressor-Parametern ist nicht viel zu sagen, denn es sind die üblichen, bekannten Parameter. Die Gain Reduction wird über ein Meter-Bargraf angezeigt. 

03 4 fidelity

Die Reiter Fidelity bietet drei Funktionen und zwar INPUT (Filter), BIT CRUSHER und RECIRCULATION. Die Normaleinstellung ohne Beeinflussung ist oben abgebildet. Auch hier ist einiges erklärungsbedürftig.

Mit dem Bandwidth-Regler lässt sich die Filterfrequenz eines Brickwall-Filters am Reverb-Eingang einstellen (ab 4 kHz bis zur vollen Bandbreite). Somit lassen sich Effekte und Sounds der frühen digitalen Halls sehr gut nachempfinden.

Der BIT CRUSHER wirkt auf den Reverb-Pfad inklusive der Early Reflections, wobei sich die Stärke (bis herunter auf 6 Bit) für Reverb und Reflections getrennt einstellen lässt. Bei eine algorithmischen Hall gibt es ja Feedback Loops.

Mit "Depth" lässt sich die Stärke der späten Modulationen beeinflussen und mit "Resolution" die angewandte Wortbreite. Die Wortbreite, bzw. Auflösung wird also in den Reverb Loops reduziert. 

03 5 eq

Der letzte Reiter bietet einen Equalizer mit je einem Hoch- und Tiefpass (6, 12, 18 oder 24 dB Filtersteilheit) sowie zwei in der Frequenz einstellbare Shelving-Filter mit konstanter Güte (0,71).

05 multiband

Interessant ist, dass sich die Nachhallzeit bei Bedarf frequenzabhängig beeinflussen lässt und zwar in drei oder vier Frequenzbändern (s. Abb. oben) relativ zur der im Master-Reiter eingestellter Hallzeit. Zu beachten ist, dass diese Funktion zusätzliche Prozessorleistung benötigt.

04 2 treble

Weiter gibt es noch zwei Sektionen die sich TREBLE CONTOURING und BASS CONTOURING nennen. Bei einem akustischen Hall ändert sich das Frequenzspektrum in der Ausklangphase durch Luftabsorption und den Eigenschaften der Reflexionsflächen. Diese zeitliche Änderung des Spektrums lässt sich mit den beiden Contouring-Sektionen einstellen.

04 3 bass

Interview

Matt Hill ist Firmengründer sowohl von Liquid Sonics als auch von Reverb Foundry. Wir haben ein kurzes, ergänzendes Interview mit Matt geführt.

proaudio.de: Du hast ja zwei Firmen gegründet, die bei Hall-Plug-Ins entwickeln und anbieten. Kannst Du uns etwas mehr über Dich erzählen? Kommst Du mehr aus der Entwickler- oder mehr aus dem Bereich der Musikproduktion?

Matt Hill: Ich komme ursprünglich aus dem Bereich der EDM-Musikproduktion und bin so als Nebenprodukt in die Entwicklung von Hall-Plug-Ins aus eigenem Interesse geraten. Ich habe Elektronik an der Universität studiert und in diesem Zusammenhang auch die Fähigkeiten erlernt, die für die Entwicklung von Audio-Plug-Ins nötig sind.

proaudio.de: Du hast ja zwei Firmen gegründet: Warum eigentlich zwei?

Matt Hill: Der Grund hierfür liegt in der klaren inhaltlichen Abgrenzung über die beiden Marken. So bieten die Produkte von Reverb Foundry mehr spezielle Klangcharaktere, während LiquidSonics mehr auf Natürlichkeit und Transparenz setzt.

proaudio.de: Was war denn die Idee hinter Tai Chi und warum hast Du dort ein Chorus integriert?

Matt Hill: Mein Interesse an EDM bedeutet auch, dass ich stark an dem Einsatz von Synthesizern in der Musikproduktion interessiert bin und Synthesizer profitieren klanglich sehr von Chorus und Unisono. Ein natürliches Unisono bei Synthesizern umzusetzen ist sehr Prozessor-intensiv. Mit einem Hall in einer Send/Return-Konfiguration kann man das sehr effizient umsetzen, wenn der Hall auch über ausgiebige Chorus-Möglichkeiten verfügt. Hier spielt auch besonders der Verlauf der Ausklangphase eine große Rolle. Die Chorus/Reverbs die ich bis dahin eingesetzt hatte, verfügten nicht über den Klangcharakter, den ich mir vorstellte und den ich von einem guten Chorus gewohnt bin. Sie klangen zu dünn und durch die Pitch-Modulation zu scharf, bzw. zu flach. Durch einen sehr speziellen, angepassten Algorithmus in Tai Chi ergibt sich einen sehr fetter und üppiger Hall, ohne den Klang stark zu verstimmen. Gerade im Mehrkanaleinsatz klingt er unglaublich stark und dicht. Der Algorithmus ist sehr flexibel und deckt so eine Reihe von Anwendungen ab.

proaudio.de: Ihr habt ja einige Produkte auch für den Einsatz für Immersive-Audio-Produktionen ausgestattet, bzw. upgedated. Wie wichtig ist 3D-Audio für Euch?

Matt Hill: Also es gibt da noch viele unerforschte Gebiete und Hall ist da ein besonders wirkungsvoller Effekt im Bereich Surround/3D-Audio, weil er Klang auch im Raum verteilt. Der Einsatz eines Kompressors oder Equalizers bei Mehrkanal-Audio-Produktionen ist klanglich nicht annähernd so interessant wie der Einsatz eines Hall.

Praxis

Die Installation ist einfach und die Bedienung ist sehr strukturiert aufgebaut. Tai Chi ist aber sehr komplex in seinen Möglichkeiten und daher erfordert es öfter mal ins Handbuch zu schauen, um sich über die Funktion des einen oder anderen Parameters klar zu werden. Ein Verständnis über die prinzipielle Funktion eines algorithmischen Halls ist hierbei durchaus hilfreich.

Was die Performance angeht hat uns Tai Chi im Test eher überrascht. Die doch relativ hohen genannten Anforderungen vom Hersteller muss man relativieren. Wir hatten den Test auf einer Xi-Machines X2 Workstation 2017 unter Windows 10 durchgeführt und es gab auch beim Betrieb von mehreren Tai Chi-7.x.2-Instanzen in einem Mix keine Problem. Der Unterschied zwischen der Tai Chi und Tai Chi Lite ist auf jeden Fall messbar aber auch viel geringer als befürchtet. Das Laden erzeugt ein bis zwei Prozent mehr CPU-Last und im Betrieb kamen je nach Preset ein bis zwei Prozent dazu. Da sind andere Reverb-Plug-Ins deutlich Resourcen-hungriger.  

06 synth presets

Aber auch diejenigen, die nicht tiefer in die beachtliche Funktionalität von Tai Chi komplett eintauchen, werden das Plug-In dank der umfangreichen Werk-Presets sinnvoll nutzen können. Die klangliche Palette ist bei Tai Chi enorm von einem natürlich Hall bis hin zu sehr extremen Reverbs, die einen eigenen Klangcharakter auf das Eingangsmaterial prägen. Speziell Synthesizer und E-Gitarre profitieren enorm von Tai Chi und das betrifft sowohl Effekte, Solo-Sound als auch Flächen bei Synthis, bzw. stehende Akkorde bei Gitarre.

Ein interessanter Aspekt bei der Klangbeurteilung ist, dass Tai Chi über viel mehr Reverb-Delay-Schleifen verfügt, als klassische Reverbs und somit klingt auch der Chorus-Effekt, der ja Zeitvariation in den Reverb-Schleifen durchführt, dichter und anders, als man es von einem Chorus-Effekt her kennt, bzw. gewöhnt ist. Tai Chi ist kein klassischer Reverb der lediglich einen Raum aufprägen will. Man kann in dem Zusammenhang auch mal ganz bewusst von Reverb-Effekten sprechen und das im positiven Sinn. Tai Chi ist ein extrem kreatives Werkzeug und weniger Raumsimulation. Einige Sounds klingen mit Tai Chi wie komplett verwandelt. Ein richtiger Klang-Booster. Bei einigen Synthi-Sound habe ich die interne Reverb-Engine ausgeschaltet und den Hall dann lieber ganz Tai Chi anvertraut.

Fazit

Der Preis für das Tai Chi Lite Plug-In liegt bei ca. 100 US$, und für die Vollversion, die übrigens auch das Tai Chi Lite Plug-In beinhaltet, bei ca. 200 US$. Ein Upgrade von Lite auf die Vollversion kostet 100 US$. Zu beziehen ist das Plug-In über die Reverb Floundry Web-Site sowie über einige wenige Händler.  Für viele Anwendungen im Bereich der Stereo-Produktion oder In-Spur-Anwendung dürfte das Tai Chi Lite-Plug-In ausreichen. Die Anzahl der Presets ist hier nicht ganz so üppig. Bei dem Preis doch sehr akzeptablen Preis werden viele aber sicherlich gleich zur Vollversion greifen.

Tai Chi ist ein tolles Werkzeug mit einer sehr großen Klangbandbreite - auch mal weit weg vom klassischen Raumhall hin zum klanglich bereichernden Reverb-Effekt - die viele kreative Musikschaffende ansprechen wird, besonders im Bereich der Elektronischen Musik.

www.reverbfoundry.com