Warm Audio WA73-EQ
Wie man eine Legende klont...
Autor: Markus Thiel | Fotos: Peter Kaminski
Als er im Jahre 1970 mit dem Design einer neuen Recording-Konsole für die Wessex Studios in London beauftragt wurde, war ihm gewiss noch nicht klar, welch nachhaltige Welle sein Preamp- und EQ-Design weltweit noch schlagen sollte. Konzeptionell war und ist Rupert Neves 1073 Modul so etwas wie ein Spezialist fürs „Unspezielle“, der mit dem Anspruch antrat, für jedes nur denkbare Signal die bestmögliche Wahl zu sein. Der Begabung eines tontechnischen Ausnahmetalents und dessen Erfahrung im Broadcast-Bereich war es letztlich geschuldet, dass die Quadratur des Kreises glückte und der 1073 mit seiner 1290er Preamp-Einheit bis heute zum Synonym eines legendären Britischen Sounds wurde.
Führt man sich die Zahl der aktuell verfügbaren Hard- und Software-Klonkrieger des Urahns einmal vor Augen, wird einem abseits eines kurzen Schwindelgefühls ziemlich schnell klar, dass Rupert Neves Design auch nach knapp 50 Jahren nichts von seiner Popularität eingebüßt zu haben scheint. Letztlich war es demnach wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis das noch recht junge, aber bereits sehr erfolgreiche Unternehmen Warm Audio mit einem eigenen Nachbau des Klassikers in Form des WA73-EQ den Markt aufmischt.
Quality first...
Die von Bryce Young 2011 gegründete Firma Warm Audio hat bereits mit Reissues legendärer Hardware wie dem 1176 und einem Pultec-inspirierten Design bewiesen, dass sich hochqualitatives Studioequipment und ein niedriger Preispunkt nicht zwingend ausschließen müssen. Auch beim WA73-EQ – so viel sei schon mal verraten – bleibt man diesem Konzept konsequent treu – und das fängt bereits bei den Äußerlichkeiten an. Alle Knöpfe des Channel Strips sind nicht nur im Stil der Neve-typischen Marconi-Knobs sondern zudem auch noch in einer zwar historisch unkorrekten aber sehr wertigen lackierten Aluminium-Variante ausgeführt. Look & Feel erinnern mich dabei doch stark an die Vintage-Serie eines deutschen Qualitätsherstellers (der Blauton wurde dabei allerdings nicht getroffen). Die originalgetreuen konzentrischen Schalter-/Poti-Kombinationen aus dem Hause des britischen Herstellers Blore Edwards lassen sich zudem passend satt und ausgesprochen angenehm bedienen. Haptik und Optik gehen beim WA73-EQ vorbildlich Hand in Hand, nach günstiger Rotstiftlösung sieht hier zunächst einmal gar nichts aus. Zeit sich das Innenleben einmal genau anzuschauen.
Analog zu den meisten Mitbewerbern setzt auch Warm Audio bei seinem Klon auf das blutrote britische Transformatoren-Metall des legitimen St. Ives Nachfolgers Carnhill. Die kurioserweise beide mit der in keinem Katalog gelisteten gleichen Modellnummer VTB9074 ausgezeichneten Ein- und Ausgangsübertrager sind laut Warm Audio custom made. Angeblich handelt es sich hierbei um Reproduktionen der mittlerweile sagenumwobenen ersten Neve-Übertrager, welche Anfang der Siebziger allerdings zumindest was die Eingangstrafos betraf, wie viele andere Komponenten auch, nichts anderes waren als gängige Stangenware von Herstellern wie Marinair oder Gardner.
St. Ives (mittlerweile Carnhill) kam erst viel später als ergänzender Zulieferer mit ins Boot, welcher zunächst auch nur 10468 Trafos nach Neve-Spezifikation fertigte. Gerüchten zufolge wurden Repliken der von Marinair co-entwickelten LO1166 Ausgangsübertrager erst viel später, nach Versiegen der originären Quelle(n), durch das heutige Unternehmen AMS Neve bei Carnhill in Auftrag gegeben.
Neben dem für das Preamp-Design essentiellen Metall gelten auch die in der HiFi-Szene aufgrund ihres Zerrverhaltens umstrittenen Tantalum- und die bauartbedingt beim Lötprozess sehr empfindlichen Styroflex-Kondensatoren zu den klanglichen Wunderzutaten eines echten 1073 Kanalzugs. In diesem Punkt sowie bei der Verwendung von Induktionsspulen in der EQ-Einheit bleibt Warm Audio der Originalvorlage ebenfalls treu.
Zudem wurden die enthaltenen PCBs laut Hersteller im Sinne des Erfinders auf traditionelle Weise mit den benötigten Komponenten per Hand bestückt. Letzteres ist ersichtlich, schaut man sich die Positionierung der Elemente auf der Platine einmal genauer an. Aber der WA73-EQ will ja schließlich auch keinen Wettbewerb für innere optische Schönheit gewinnen. Ein interessantes Detail ist die scheinbar ursprünglich nicht geplante Auslagerung einer Spule aus der Mitte nach hinten links in die Nähe der Aus- und Eingänge. Vielleicht gab es am ursprünglich angedachten Platz Interferenzen die mit der aktuellen Lösung umgangen werden.
Rückseitig bietet das Gerät neben einer alternativen Mikrofonanschluss-Möglichkeit einen symmetrischen Line-Ausgang in XLR- und TRS-Belegung, Insert Send und Return (TS) sowie einen Line-Eingang. Hervorzuheben ist zusätzlich, dass der WA73-EQ über einen Groundlift-Schalter und eine Erdungsschraube verfügt.
Bedienung
Beim ursprünglichen Konzept des 1073 legte Rupert Neve bereits großen Wert auf eine möglichst selbsterklärende sowie komfortable Bedienung, was angenehmerweise auch beim Warm Audio Klon seine Entsprechung findet. Das Entwicklerteam um Bryce Young ließ es sich allerdings trotzdem nicht nehmen, dem altehrwürdigen Design ein paar Modifikationen mit auf den Weg zu geben.
Beim High Shelf EQ bedient sich der Hersteller nämlich bereits bei der späteren Hot-Rod-Variante des Channels und ersetzt das ursprünglich auf 12 kHz fixierte Band durch die drei Optionen 10, 12 und 16 kHz des Nachfolgers 1084.
Der Obere Frequenzbereich lässt sich dabei exakt wie das Untere Shelf (35, 60, 110 und 220 Hz) butterweich mit +/-16 dB justieren. Die Mitten greifen wahlweise bei 360, 700, 1600, 2300, 4800 und 7200 Hz mit +/-18 dB Peaking während der Hi-Pass-Regler in der Lage ist bis zu 18 dB Abfall pro Oktave (bei 50, 80, 160 oder 300 Hz) beizusteuern.
Analog zu Re-issues der Konkurrenz wurden zudem zusätzlich zu EQ-Bypass und Phasendrehung einige weitere Buttons, wie etwa die unerlässliche Phantomspeisung und eine Line-Signal- sowie Instrument-Umschaltung, dem Frontpanel hinzugefügt. 1073-Module besaßen dafür lediglich einen rückseitigen Preset-Kippschalter für Hi/Lo-Z.
Besondere Erwähnung verdient der exklusive mit "Tone" bezeichnete Taster, über den sich die Eingangsimpedanz absenken lässt, was letztlich zu einer höheren Belastung durch angelegte Signale führt. Je nach Klangquelle und verwendetem Mikrofon, kann dies durchaus reizvolle Sättigungseffekte für die Extra-Portion Analog-Feeling hervorbringen. Ob es das Risiko wert ist, sich bei der Aufnahme im schlimmsten Fall die perfekte Aufnahme damit zu verschlimmbessern, muss letztlich jeder selber wissen und entscheiden.
Ein echtes Highlight des WA73-EQ ist der rückseitig erreichbare und über das Panel schaltbare Insert über welchen sich beispielsweise ein Kompressor unmittelbar hinter Eingangsübertrager und Gain-Stufe in die Schaltung integrieren lässt. Ein nachgestellter Output-Level-Regler samt LED-Kette rundet das Setup ab und ergänzt den Channel um eine sinnvolle Fader-Funktion.
Klang
Gibt es ihn überhaupt, den exakten 1073-Sound oder verhält es sich bei diesem vielleicht her wie mit dem Stratocaster-Sound? Das Nachkochen begehrter Audio-Hardware entscheidet sich trotz strenger Rezepttreue doch letztlich an einer ungeheuren Vielzahl von Faktoren. Aktuelle Bauteile wie etwa Kondensatoren verweisen für horrende Summen gehandelte NOS-Parts zum Entsetzen vieler Vintage-Gralssucher in Sachen Performance und Haltbarkeit längst in ihre Schranken. Wie um alles in der Welt sollte also ein Channel Strip aus aktueller Produktion und Fertigung klingen wie ein fast 50 Jahre altes Schätzchen mit unzähligen Stunden Betriebszeit? Bedenkt man, dass mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit selbst zwei originale 1073-Einheiten alles andere als exakt gleich klingen dürften, sofern sie nicht Hand-gematcht aus ein und derselben Konsole stammen, klingt der WA73-EQ für meine Begriffe schon mehr als ausreichend original.
Abseits aller denkbaren Diversitätsdiskussionen trägt der Charakter des Channels eine unverkennbar bekannte Handschrift, die sie mit einigen Mitstreitern und sogar legitimen Rechtsnachfolgern in Form eines gemeinsamen Nenners teilt. Das Schaltungsdesign des 1073 fügt auch ohne Eingriff in den durchaus sehr musikalischen EQ dem Signal dieses gewisse Etwas hinzu, was sich besonders bei höheren Gain-Stufen und einer damit einhergehenden leichten Kompression in einen angenehm vorproduzierten Sound verwandelt der nicht nur klassischen Rock-Produktionen gut steht.
Fazit
Klanglich trifft der WA73-EQ also voll ins Schwarze obwohl finanziell gut ausgestattete Puristen ihn wohl in keinem Fall für eines ihrer wohlgehüteten 15.000-Dollar-Schätzchen eintauschen würden. Wer allerdings schon länger vom 1073-Sound in einem schmucken, wie auch qualitativ hochwertigen 19"-Gehäuse zu einem realistischen Preis träumt, kann nun anfangen diesen Traum endlich zu leben und zu recorden.
Dank Warm Audios Entwicklerphilosophie bekommt man am Ende durch stimmige Upgrades sogar mehr als nur einen schnöden Klon. Ein wirklich großartiger Channelstrip samt der richtigen Portion Vintage-Charme zum beinahe unseriösen DIY-Preis von ca. 900 Euro.