sE Electronics RNR1 Bändchenmikrofon

Autor und Fotos: Raphael Tschernuth

sE Electronics RNR1 front

Der legendäre Rupert Neve, der die Welt der Audiotechnik durch seine genialen Ideen und seine unermüdliche Schaffenskraft entscheidend mitgeprägt hat, ist leider 2021 im hohen Alter von 94 Jahren verstorben. Neben seinen Mischpulten, Preamps, Kompressoren und vielen anderen Signalprozessoren, die er der Nachwelt hinterlassen hat, ist er in den letzten beiden Jahrzehnten im Zuge einer Partnerschaft mit der Firma sE Electronics in ein ganz neues Metier vorgedrungen: den Bau von Mikrofonen.

Zusammen mit sE Electronics haben Rupert Neve und seine texanische Firma Rupert Neve Designs insgesamt drei Mikrofone auf den Markt gebracht: 2009 erblickte das aktive Bändchenmikrofon RNR1 das Licht der Welt, 2014 folgte das Kleinmembran Mikrofon RN17 und 2018 schließlich der krönende Abschluss mit den Großmembranmikrofon RNT. Für fast jeden klassischen Mikrofontyp, ausgenommen Tauchspulen-Mikros, gibt es also ein Referenz-Modell aus dem Hause Neve / sE Electronics.

Dabei wird Rupert Neves Liebe zu Audio-Übertragern auch bei den Mikrofonmodellen deutlich. Beim Kleinmembran-Mikrofon lässt sich etwa anhand der eigenwilligen Gehäuseform sofort erkennen, dass im Inneren ein überdurchschnittlich großer Übertrager arbeitet. Beim RNT wurden sogar zwei Ausgangsübertrager verbaut und auch beim vorliegenden RNR1 finden sich zwei Übertrager im Gehäuse. Laut sE war die Arbeitsaufteilung während der Entwicklung recht einfach: Die Konzepte der Mikros und ihre Eckdaten wurden zusammen festgelegt. Rupert Neve kreierte anschließend die Schaltungen, während sich sE um die Entwicklung der Wandlerelemente, das Akustikdesign und die Herstellung der Mikrofone kümmerte.

Zweifelsfrei ist das Design des RNR1 eigenständig - genauso wie seine Elektronik mit den beiden im Mikrofon verbauten Übertragern. Hier wurde nichts kopiert, sondern von Grund auf neu gedacht. Das erfordert Mut, denn wir Toningenieure und Produzenten sind bekanntlich ja eher konservativ und vertrauen, meist aus gutem Grund, auf Altbekanntes.

Schließlich entwickelt sE eigenständige Mikros und setzt sich damit deutlich von der chinesischen Massenware ab. In der eigenen Firma werden viele Arbeitsschritte in Handarbeit erledigt, worauf das Team von sE Electronics auch mächtig stolz zu sein scheint. Das große Vertrauen in die eigenen Produkte bekräftigt der Hersteller durch eine vierjährige Garantie, die sich bei Registrierung sogar auf fünf Jahre erweitern lässt.

Technische Daten

Das RNR1 ist ein Bändchenmikrofon mit klassischer Acht-Charakteristik und einem weiten Übertragungsbereich von 20 Hz bis 20 kHz. Typisch für Mikrofone dieser Gattung, senkt sich der Frequenzbereich ab ca. 5 kHz langsam ab. Wie eingangs erwähnt, ist das RNR1 mit aktiver Elektronik ausgestattet. Bauartbedingt sind Bändchenmikrofone meistens richtige Leisetreter die gerne ein wenig mehr Gain vom Preamp einfordern als andere Mikrofontypen. Ja nach Qualität des verwendeten Vorverstärkers kann sich dadurch aber Rauschanteil erhöhen, was in der Vergangenheit einige Hersteller dazu angeregt hat eine aktive Verstärkerelektronik bereits direkt im Mikrofon zu verbauen. Auch sE hat neben dem RNR1 mit der erschwinglichen Voodoo-Serie mittlerweile passive wie auch aktive Bändchenmikrofone im Programm.

Im Gegensatz zu früher, als irrtümlich aktivierte Phantomspannung einem Bändchenmikrofon gefährlich werden konnte, benötigen aktive Bändchen wie das RNR1 eine Speisung von 48 Volt. Durch die Elektronik wird beim RNR1 ein Eigenrauschen von 17 dB (A) erreicht, was einen Rauschabstand von 77 dB ergibt. Die Ausgangsimpedanz beträgt 200 Ohm. Der maximale Schalldruck bei 0,5 % THD (N) gibt sE mit 137 dB an, die Empfindlichkeit des RNR1 beträgt 25 mV/Pa und liegt damit sogar teils deutlich über der Empfindlichkeit mancher Großmembranmikrofone. Dadurch sind Ansprüche, die an die Gain-Reserven des Vorverstärkers gestellt werden, erfreulich gering.

Um eine eventuelle Überbetonung der tiefen Frequenzen durch den Bändchen-typisch stark ausgeprägten Nahbesprechnungseffekt entgegenwirken zu können, wurde dem Mikrofon ein Hochpass-Filter spendiert, welches laut Datenblatt bei 100 Hz mit 6 dB/Okt. ansetzt. Das recht ungewöhnliche Design mit einer Länge von 26,5 Zentimetern und einem Durchmesser von 4,5 Zentimetern bringt laut Hersteller 860 Gramm auf die Waage. Bei unserem Testmodell sind es sogar 875 Gramm, das RNR1 ist also wahrlich kein Fliegengewicht.

Lieferumfang

sE Electronics RNR1 open suitcase

Geliefert wird das Mikrofon in einem sehr groß dimensionierten Koffer, der alleine schon 3,1 Kilo wiegt. Im Koffer wird das Mikrofon in einem ansprechenden Holzetui mit Magnetverschluss aufbewahrt Zusätzlich zum Koffer und der Holzschatulle gibt es noch einen dritten Schutz für das RNR1: ein passender Stoffbeutel, der das Mikrofon auch nach dem Aufbau am Mikrofonständer vor Wind und Staub schützt. Eine schwarze Aufhängung sowie eine mehrsprachige Bedienungsanleitung runden den Lieferumfang ab

Die Verarbeitungsqualität des RNR1 ist vorbildlich. Metallverarbeitung und Lackierung sind sehr gut ausgeführt. Auch die beiden doppellagigen Gitter des knapp 16 cm langen Mikrofonkorbs wurden sauber eingesetzt. Vorder- und Rückseite des Mikrofons gleichen sich in der grundlegenden Konstruktion. Auf der Vorderseite befindet sich der Schalter für das High-Pass Filter sowie die Firmenlogos von sE Electronics und Rupert Neve Designs. Auf der Rückseite ist eine Metallplakette mit der Seriennummer angebracht. Die Seriennummer ist zudem auf der Unterseite des Mikrofongehäuses aufgedruckt.

Der erste Aufbau

Wie viele andere Vertreter der hochklassigen Bändchen-Gattung ist auch das RNR1 kein Leichtgewicht und bringt zusammen mit der ca. 500 Gramm schweren Spinne knapp 1,4 Kilogramm auf die Waage. Es empfiehlt daher, mit einem Galgen mit Gegengewicht zu arbeiten und generell sollte man natürlich nicht beim Mikrofonstativ sparen, wenn man in ein Mikrofon dieser Preisklasse investiert. Mir gefällt die gute Verarbeitung der Spinne und die Tatsache, dass alle Einzelteile aus Metall gefertigt wurden. Das sorgt für hohe Langlebigkeit und eine sichere Fixierung. Zusätzlich befinden sich im Gewinde kleine Ösen die, die den Mikrofonwinkel zusätzlich fixieren. Selbst wenn die Feststellschraube locker werden sollte, hält die Spinne das Mikrofon in Position. Durch die intelligente Konstruktion sind Metallteile an der Vorderseite der Spinne nicht nötig und das Mikrofon kann sehr nah an der Schallquelle positioniert werden.

Umdenken gewünscht

Das RNR1 eignet sich für Schallquellen für die man im ersten Moment nicht unbedingt an ein Bändchenmikrofon denken würde. Assoziiert man gemeinhin Bändchen-Mikros mit lauten Schallquellen wie Gitarrenamps oder Drums so wird es mit dem RNR1 möglich sanfte Töne einer Akustikgitarre oder gefühlvolle Gesangspassagen aufzunehmen.

Auch die Wahl des Preamps muss man überdenken, denn hier kann es sehr schnell zu viel des Guten sein. Meine API 512c die im Zusammenspiel mit Bändchenmikros oft meine erste Wahl sind, liefern beispielsweise ohne Pad bereits + 34 dB Vorverstärkung. Damit ist man zusammen mit der hohen Empfindlichkeit des RNR1 schnell im Grenzbereich und läuft Gefahr die nachfolgenden Wandler zu übersteuern. Da das RNR1 kein Pad verbaut hat, empfiehlt es sich einen Preamp zu nutzen der sich im niedrigen Gain-Bereich exakt einstellen lässt.

Klangliche Eindrücke

sE Electronics RNR1 Melodium42B

Als Vergleichskandidaten für meinen Test habe ich mir vom Berliner Mikrofonverleih Echoschall drei Bändchenmikrofone ausgeliehen. Zum einen das legendäre, französische Melodium 42B, welches gerade neu aufgelegt wurde und das, meiner persönlichen Meinung nach, eines der bestklingendesten Bändchenmikros ist. Daneben der englische Klassiker Coles 4038 der vielen Lesern ein Begriff sein wird, sowie das neuartige Rode RNT mit aktiver Elektronik.

Schnell fällt auf, dass das RNR1 viele klangliche Gemeinsamkeiten mit dem Melodium teilt. Dieses ist nach oben hin ungemein offen und transparent, eine Eigenschaft die nur wenige Bändchenmikrofone aufweisen. Auch das RNR1 besticht durch eine attraktive Durchsichtigkeit, und verleiht der aufgenommen Quelle viel Lebendigkeit. Das Material ist sehr gut greifbar und besitzt jenen Realismus den man an guten Bändchenmikros schätzt. Das sE RNR1 klingt organisch und sehr ausgewogen. Der Bassbereich hält sich angenehm zurück und wird nicht überbetont, das eingebaute Hochpassfilter geht sehr sanft ans Werk. Während der Griff zum EQ bei vielen anderen Bändchenmikros unerlässlich ist, um den Bassbereich zu verschlanken und etwas Top-End hinzuzufügen, erhält man mit dem RNR1 auf Anhieb ein Signal, das man als “mix-ready” bezeichnen kann. Die Arbeit des Toningenieurs wird dadurch vereinfacht und es lässt sich wertvolle Zeit sparen.

sE RNR1 Filter

Das Rode RNT wirkt beispielsweise an der Akustikgitarre deutlich matter. Dafür kann das Australische Bändchen, welches im Gegensatz zum RNR1 mit nur einem Übertrager ausgestattet ist, um 2 … 3 dB bessere Rauschwerte vorweisen. Mit den 17 dB (A) des sE RNR1 lässt sich aber absolut problemlos arbeiten. Im Verbund mit den sehr rauscharmen Vorverstärkern des RME UFX erreiche ich identische Rauschwerte wie beim Coles 4038 bzw. dem Melodium 42B.

Das Coles 4038 bildet ebenfalls deutlich dunkler als das RNR1 ab, was den Klangcharakter betrifft. Es klingt allerdings nicht matt, sondern vollmundig und verleiht dem Signal immer eine eigene, edle Note.Während des Testzeitraums habe ich das RNR1 an Drums, Gitarrenamps, männlichen und weiblichen Stimmen, Akustikgitarre und Percussion-Instrumenten eingesetzt.  Besonders der gut akzentuierte Mittenbereich zwischen 1 kHz und 5 kHz der in seiner Breite beim RNR1 etwas betont ist, führt dazu, dass sich das RNR1 sehr universell einsetzen lässt.

Der leichte Mittenschub kommt beispielsweise verstärkten Gitarrensounds sehr entgegen. Hier wirkt nichts muffig oder undifferenziert, Clean- und Crunch-Sound werden sehr transparent abgebildet. Auch Stimmen profitieren von dem angenehmen Mittenbereich und problematische S-Lauten wirken deutlich angenehmer als das etwa bei vielen Großmembranmikrofonen der Fall ist.

Was man in der Arbeit mit dem RNR1 noch bedenken sollte ist, dass durch die klangliche Offenheit dem Raum eine höhere Bedeutung zukommt als bei den dunkleren, bzw. matter klingenden Kollegen. Raumreflexionen, und damit die Größe und Beschaffenheit des Aufnahmeraums, sind deutlicher wahrzunehmen als bei den Mikrofonen der Konkurrenz. Die seitliche Löschung bei 90 Grad fällt in der Praxis beim RNR1 zudem deutlich sanfter aus als etwa beim Coles 4038 oder dem Melodium 42B bei denen die Transienten deutlich stärker abgedämpft werden.

Fazit

Das RNR1 ist ein erfrischend neu gedachtes Bändchenmikrofon, dass sich durch seine Transparenz und klangliche Ausgewogenheit für viele verschiedene Klangquellen und Situationen anbietet. Durch seine aktive Elektronik mit zwei Rupert Neve-Übertragern besitzt es eine sehr hohe Empfindlichkeit und stellt wenig Ansprüche an die Verstärkungsleistung des Preamps. Einzig einen Pad Schalter hätte ich mir gewünscht, da der Output für ein Bändchenmikrofon unerwartet hoch ist. Die Verarbeitung des RNR1 ist tadellos und auch das Zubehör wie der Koffer oder die durchdachte Mikrofonspinne sind von hoher Qualität. Da es wenige Bändchenmikrofone gibt, welche die klangliche Flexibilität des sE Electronics RNR1 an den Tag legen, ist der Preis von ca. 1.500 Euro durchaus gerechtfertigt.

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