Native Instruments Cremona Quartet

Autor: Von Georg Berger

NI Cremona Quartet Stradivari main

Wer die teuersten Streichinstrumente der Welt spielen will, muss entweder ein Virtuose mit Weltruf sein oder ein dickes Bankkonto besitzen. Unkomplizierter und günstiger geht das seit kurzem mit dem Cremona Quartet von Native Instruments. Sozusagen als Single-Auskopplung stellte Native Instruments als Erstes die Stradivari Violin Library vor. Wenig später bei Veröffentlichung von Komplete 13 kam der Hersteller mit dem gesamten Album in Form des Cremona Quartet um die Ecke. Die Stradivari-Library ist übrigens die einzige im Ensemble, die einzeln erhältlich ist. Doch zurück zum Quartett.

Enthalten sind Klänge von Instrumenten, die allesamt nicht mehr und nicht weniger als der heilige Gral der Streichinstrumente markieren. Wie üblich für ein klassisches Streichquartett, besteht Cremona Quartet aus zwei Violinen, einer Bratsche und einem Cello. Sie stammen sämtlich aus dem Museo del Violino, das in Cremona beheimatet ist. Das italienische Städtchen gilt gemeinhin als die Geburtsstätte des Streichinstrumentenbaus, wo Meister wie Stradivari, Amati und Guarneri im 17. und 18. Jahrhundert wirkten. Die Instrumente als solche tragen zur besseren Unterscheidung von Baujahr und bisheriger Besitzer und Interpreten einschlägige Namen.

Die sogenannte „Vesuvius“-Violine von Stradivari, die 1727 gefertigt wurde, die „Prince Doria“ Violine von Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1734, die „Stauffer“-Bratsche von Andrea Amati, die mit ihrem Baujahr 1614 den Stubenältesten im Ensemble bildet sowie das „Stauffer“-Cello von Stradivari, gefertigt im Jahr 1700.

Für die Produktion der Klangsammlungen zeichnet das Hamburger Soundware-Unternehmen e-instruments verantwortlich, das einmal mehr mit Native Instruments erfolgreich zusammengearbeitet hat und bereits in der Vergangenheit mit ihren Session-Instrumenten das Klang-Portfolio von Native Instruments nachhaltig bereichert hat. Sämtliche Preziosen wurden im Konzertsaal Giovanni Arvedi aufgenommen, dessen Akustik eigens für Streichinstrumente entworfen wurde und Teil des Museo del Violino ist. Und wenn man schon einmal die Gelegenheit hat, solch wertvolle Instrumente einzusetzen, wundert es nicht, dass auch ein entsprechend hoher Aufwand bei den Aufnahmen getrieben wurde. So wurden für die Aufnahmen rund 30 Mikrofone eingesetzt und anders als sonst wurde jede Note/Ton in jeder Artikulation einzeln aufgenommen.

Systemvoraussetzungen

Um die Librarys spielen zu können ist als Mindestvoraussetzung Kontakt 6, respektive der kostenlose Kontakt 6 Player erforderlich. Jede Library ist, bedingt durch die Akribie beim Aufnehmen der Instrumente, ungefähr 22 Gigabyte umfangfreich. Darin finden sich je zwei Instrumenten-Presets: eine Stereo-Variante mit fest eingestelltem Anteil von Direkt- und Raumklang und eine Multi-Mikrofon-Variante. Letztere erlaubt via Mix-Dialog das Einstellen von drei Kanälen mit unterschiedlich starkem Raumanteil (direct, Mid, Far), wobei ausschließlich die Akustik des oben erwähnten Konzertsaals zu hören ist. Beim Laden des Stereo-Presets werden pro Library rund zwei Gigabyte in den Arbeitsspeicher geschaufelt. Soll es die Multi-Mikrofon-Variante sein, sind pro Klangsammlung um die fünf Gigabyte RAM erforderlich. Wer also ein Haydn- oder Beethoven-Streichquartett mit den Cremona-Instrumenten in Echtzeit abspielen will, braucht also ordentlich Speicherplatz im Rechner (ab 20 Gigabyte aufwärts). Der Grund für den immensen Speicherhunger wird klar, wenn man einen Blick auf das Konzept und die im Hintergrund werkelnde Technik der Librarys wirft.

Konzept

Wie erwähnt wurde jede Tonhöhe einzeln aufgenommen  und das für jede der 20 wählbaren Artikulationen. Dem Vibrato wurde beim Erstellen der Bibliothelen ebenfalls sehr hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Sie wurden ebenfalls gesamplet und in einem eigenen Prozess reproduzierbar für die Artikulationen gemacht, in denen Vibrato möglich ist. Je nach Spieltechnik sind noch weitere Eingriffsmöglichkeiten zum Ausgestalten vorhanden, was den Speicherhunger entsprechend erhöht. So steht per simplem Mausklick in jeder Artikulation eine „con sordino“-Variante zur Verfügung, also das Spielen mit Dämpfer. Einer besonderen Herausforderung sah sich der Produzent e-instruments gegenüber bei der Programmierung, bzw. Realisierung verschiedener Legato-Übergangs-Techniken (via Finger, gestrichen, in Läufen, Portamento) und einer nahtlos klingenden Dynamik ohne klangliche Artefakte über sämtliche Klangregister hinweg, wobei die Stereo-Samples tontechnisch phasenkorrigiert werden mussten. Damit kann jetzt ein Ton von leise bis ganz laut ohne hörbares Phasing ausgestaltet werden.

Der Anwender kriegt beim Spielen davon jedoch nichts mit, was die besondere Magie dieser Library ausmacht. Die Bedienung, der ich mich jetzt widmen will, ist dabei denkbar einfach und folgt den üblichen Konzepten beim Spielen virtueller akustischer Orchester-Instrumente.

Bedienung

Ist das gewünschte Preset geladen, blickt der Anwender auf einen Dialog, der in den oberen Zweidritteln der Darstellung des entsprechenden Instruments vorbehalten ist. Am Fuß zeigen sich eine Reihe anklickbarer, viereckiger Flächen/Slots mit verschiedenen Symbolen und Inhalten. Links stehen die sogenannten Performance-Parameter, rechts der Position-Dialog und in der Mitte sind acht Felder, die verschiedene Spielartikulationen enthalten.

Mix-Dialog

NI Cremona Quartet mixer

Ist das Multi-Mikrofon-Preset geladen, lässt sich über das Mixer-Icon oben links der entsprechende Dialog laden, der sich, wie die anderen Dialoge auch, über die gesamte Fläche des Kontakt-Instrument-Slots legt. Wie erwähnt stehen drei Kanäle mit einer Direkt-Mikrofonierung und zwei Mikrofonierungen mit unterschiedlich starkem Raumanteil (Mid und Far) zur Verfügung. Wer mag kann sogar das Raumrauschen einblenden. Sehr schön sind die Panpots mit denen ich die Position des Instruments im Raum definieren kann. Im Lieferumfang finden sich übrigens Snapshots, die für jedes einzelne Quartett-Instrument ein Mixer-Setting bereithält, das es für eine Quartett-Aufnahme automatisch richtig positioniert. Das ist klug gedacht und zeigt, wie sehr sich die einzelnen Instrumente aufeinander beziehen sollen.

Performance-Dialog

NI Cremona Quartet performance

Nach Klick auf die Performance-Schaltfläche im Haupt-Dialog blickt man auf einen zweigeteilten Dialog: Oben lässt sich die Stärke der Dynamik einstellen, die wahlweise per Anschlagsdynamik oder via Controller – hier: Modulationsrad – einstellbar ist. Der etwas unglücklich betitelte Expression-Fader reguliert die Gesamtlautstärke des Instruments. Die untere Hälfte ist der Definition des Vibrato vorbehalten. Sechs verschiedene Vibrato-Stile sind wählbar. Über zwei MIDI-Controller lässt sich die Geschwindigkeit sowie die Intensität des Vibratos regulieren. Als nki-Instrument sind diese Routings übrigens automatisch auf die ersten beiden Dreh-Controller der Native-Instruments-eigenen Komplete-Keyboards geroutet. Somit entfällt für Besitzer dieser Produkte lästiges Programmieren.

Artikulations-Dialog

NI Cremona Quartet articulation

Die acht zentral positionierten Artikulations-Slots lassen sich individuell mit den gewünschten Spieltechniken bestücken. Jedem Slot ist ein eigener Key-Switch zugeordnet, der sich übrigens via MIDI-Learn oder Klicken und Ziehen in der Notenliste nach eigenen Wünschen festlegen lässt. Nicht alltäglich ist die Möglichkeit, in jeder Artikulation den Bogenstrich nach Gusto ändern zu können, was ebenfalls via frei definierbarem Key-Switch geschieht. Das sorgt für einen zusätzlichen Schub in Sachen Authentizität. Nach Klick auf eine Artikulationsfläche legt sich ein Dialog über die Instrumentenfläche, der 20 Artikulationen, aufgeteilt in sechs Kategorien bereitstellt. Drei langgezogene Varianten (Marcato, Sustain, Détaché), fünf kurz gespielte Vortragsweisen wie unter anderem Pizzicato, Staccato oder Spiccato stehen zur Auswahl. Weiter gehts mit expressiven Spieltechniken wie etwa Tremolo und Triller, dynamische Varianten mit Crescendi und Diminuendi sowie Spezial-Techniken wie Flageoletts oder Col legno, lassen kein Wünsche offen.

Einige Artikulationen gewähren obendrein noch weitere Eingriffe in die Ausformung, was am Fuß des Artikulations-Dialogs geschieht. So kann, wie erwähnt, ausnahmslos jede Artikulation „con sordino“, also mit Dämpfer erklingen. Darüber hinaus ist etwa in der Tremolo-Artikulation die Geschwindigkeit und der Bogenstrich einstellbar oder die Geschwindigkeit des Crescendo regulierbar.

Nicht alltäglich und ein genialer Kniff ist die sogenannte „Virtuoso“-Artikulation, die ähnlich wie das Smart-Werkzeug in Pro Tools auf einen Schlag gleich mehrere Artikulationen bereithält, um der Expressivität des Spiels auf weite Strecken freien Lauf zu lassen. So ist über die Anschlagsdynamik kontrollierbar, ob man ganz normal legato oder beim Notenwechsel ein portamento spielen will. Über das Pitchbend-Rad lässt sich rasch zwischen normalem Spiel, staccato oder spiccato wechseln. Im Test sorgt diese Artikulation ohne allzuviel ablenkende Key-Switch-Tipperei tatsächlich für eine immense Freiheit und befeuert den Spaß beim Improvisieren nachhaltig. Für diese Artikulations-Lösung gibts daher ein extra Lob.

Position-Dialog

NI Cremona Quartet position

Das nächste, nicht alltägliche Highlight, in den Cremona-Librarys ist der sogenannte „Position“-Dialog. Wer Gitarre oder Bass oder eben ein Streichinstrument spielt, weiß, dass ein und dieselbe Tonhöhe auf verschiedenen Saiten und in verschiedenen Lagen gespielt, einen hörbaren klanglichen Unterschied besitzt. So klingt etwa ein e auf einer tiefen Saite, aber in einer hohen Lage gespielt etwas runder und voller als dasselbe e auf einer hohen Saite in einer niedrigen Lage gespielt. Der Position-Dialog zollt diesem Umstand Rechnung, in dem er drei Varianten für das Wechseln der Saiten beim Spielen offeriert. In der Smart-Stellung sorgt ein intelligenter Algorithmus dafür, dass etwa bei einem Lauf über eine Oktave je nach Ausgangspunkt automatisch die „richtigen“ Saiten ausgewählt werden, wie es ein Instrumentalist auf effiziente Weise tun würde. Nach Anwahl der High- oder Low-String-Variante wird der gleiche Lauf so lange als möglich auf nur einer Saite gespielt. Zusätzlich gibt es auch noch die Option per Key-Switch die Option zu aktivieren, nach Möglichkeit die offenen Saiten, also ohne Drücken aufs Griffbrett, zu spielen. Um es vorweg zu nehmen: An dieser Stelle zeigt sich der Vorteil des chromatischen Aufnehmens des Originals, mit dem sich die klangliche Lebendigkeit zwar subtil, aber dennoch nachhaltig steigern lässt.

Praxis und Klang

Die Bedienung der einzelnen Bibliotheken unterscheidet sich logischerweise nicht. Wer in der Vergangenheit schon einmal mit Orchester-Librarys gearbeitet hat, wird sich mit den Cremona-Instrumenten auf Anhieb bestens zurecht finden. Modulations- und Pitchbend-Rad, Key-Switches und ein paar wenige MIDI-Controller reichen, um sich als virtueller Paganini zu betätigen. Doch um das bestmögliche aus den Librarys holen zu können, ist schon ein gewisses Maß an Einarbeitung und Übung erforderlich. Wer überdies auch noch authentisch lebendig klingen will, sollte sich schon mit den klanglichen Möglichkeiten von Streichinstrumenten auseinandersetzen, um nicht etwa in die Falle zu tappen, etwa einen Bogenwechsel an einer Stelle vorzunehmen, an der das gar nicht geht.

Auffällig ist, dass die Librarys maximal zweistimmig spielbar sind, was aber auch so sein soll und in Ordnung geht. Schließlich können Streichinstrumente in der realen Welt ebenfalls maximal zwei Töne gleichzeitig auf benachbarten Saiten spielen. Die Artikulationen können im Test ohne Wenn und Aber überzeugen. Lediglich beim Tremolo, dessen Geschwindigkeit einstellbar ist, klingt es mir bei niedrigen Geschwindigkeiten ein wenig zu künstlich. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Meckern muss ich aber bei beiden Diminuendo-Varianten, die mir im Vergleich zum Crescendo doch zu subtil und viel zu kurz daherkommen. Da hätte ruhig ein Schippchen mehr Elegie und Expressivität reinkommen können. Ansonsten bin ich gerade von den verschiedenen Legato-Varianten sehr angetan, die bei Notenwechseln äußerst lebendig und authentisch klingen. Überzeugen können auch die eher exotischen Artikulationen wie Ricochet, Sautillé, Col legno oder die Flageoletts, die mit ihren rhythmischen oder geräuschhaften Artikulationen sehr charakterstark daherkommen. Im Rahmen von Orchester-Librarys sind sie jedenfalls nicht oft zu hören oder als Artikulationen einsetzbar.

Die verschiedenen, wählbaren Vibrato-Varianten unterscheiden sich auf subtile Weise voneinander. Am ehesten sind sie in einem mehr oder weniger verzögerten Einsatz zu bemerken. Gleiches gilt auch für den per Key-Switch auslösbaren Bogenwechsel sowie die klanglichen Auswirkungen des Positions-Dialogs. Alle diese eher kleinen, unmerkbaren klanglichen Feinheiten kommen erst bei sachgemäßem Einsatz mitten im Spiel zum Tragen und spielen dann in Sachen Authentizität groß auf. An exponierter Stelle gespielt gehen sie wahlweise völlig unspektakulär unter oder klingen sogar unfreiwillig künstlich, etwa wenn unmotiviert ein Bogenwechsel vorgenommen wird.

Klanglich überzeugen alle vier Instrumente durch einen vollmundigen, weichen Ton, der schmeichlerisch in die Gehörgänge dringt. Irgendwie besitzen sie etwas lebendiges, organisches, was sie äußerst angenehm hörbar macht. Viele andere Streicher-Librarys, deren Solo-Instrumente ich bislang getestet habe, klingen im Vergleich dazu eher statisch und kalt. Aber es gilt auch, fair zu bleiben. Denn in vielen String-Librarys wird der Fokus auf Ensemble-Klänge gelegt und Solo-Instrumente sind eher als nette Dreingabe auch mit an Bord. Da wundert es also nicht, wenn diese Sounds deutlich abfallen, weil nicht genügend Sorgfalt, respektive der Fokus auf die Produktion gelegt wurde.

Im Zusammenklang bauen alle vier Cremona-Instrumente organisch aufeinander auf. So kann ich bestätigen, dass die Stradivari-Violine im Vergleich zum Guarneri-Pendant ein wenig heller, höhenreicher und leicht bissiger klingt, weshalb sich beide Instrumente im Zusammenspiel hervorragend ergänzen. Die Bratsche und das Cello runden die Klangpalette durch ihr organisches Timbre nach unten hin angenehm hörbar ab. Mehr noch, meine ich, in den unteren Lagen des Cello sogar das Holz ordentlich brummen zu hören. Alles in allem ist der Höreindruck hervorragend.

Fazit

Das virtuelle Instrument Stradivari Violin liegt bei ca. 200 und das Cremona Quartet mit allen vier Instrumenten bei ca. 390 Euro. Ein Update von Stradivari Violin auf das Cremona Quartet ist für ca. 200 Euro möglich.

Native Instruments und e-instruments legen mit Cremona Quartet ein virtuelles First-Class-Streichquartett vor. Günstiger kann man nicht an die klanglich exzellenten Vorzüge weltberühmter Streichinstrumente von Stradivari, Amati und Guarneri kommen. Dabei haben es die Produzenten geschafft, die vier Soloinstrumenten-Librarys mit vielen, teils nicht alltäglichen Artikulationen und einer Reihe zusätzlicher klanglicher Kniffe wie den wählbaren Bogenstrich, den Positions-Dialog und den genialen Virtuoso-Artikulations-Modus auszustatten, die einen nachhaltigen Schub in Sachen Authentizität und Spiel-Spaß bedeutet. Einzig der übergroße Arbeitsspeicher-Hunger könnte Anwender mit eher bescheiden ausgebauten Rechnern zögern lassen. Dennoch lautet das Fazit Daumen hoch in allen Punkten.

www.native-instruments.com