Mercuriall Euphoria
Autor: Peter Kaminski
Mercuriall ist ein junges Unternehmen aus Russland, welches 2015 von dem Software-Programmierer Vladimir Titov und dem Toningenieur Vyacheslav Tikhonov gegründet wurde. Bei der Entwicklung hat man sich ganz auf Gitarren-Amp Simulations-Plug-Ins fokussiert. Hier hat man sich zum Ziel gesetzt, klanglich möglichst nah an die Originale heranzukommen. Im März 2020 stellte Mercuriall Euphoria vor, eine Simulation des bekannten und beliebten Bogner Ecstasy 101B Gitarren-Verstärkers.
Original und Simulation
Zunächst möchten wir auf das Vorbild eingehen. Reinhold Bogner wanderte Ende der 80er Jahre in die USA aus. Nachdem er für bekannte Gitarrengrößen Amps modifiziert hatte, machte er sich an die Entwicklung eigener Amps. Der Ecstasy ist ein Amp komplett in Röhrentechnik mit drei Kanälen und 100 Watt Ausgangsleistung. Der Amp hat eine lange Geschichte. In den 90er-Jahren experimentierten viele mit Mehrfach-Preamps und Mehrfach-Amps. Daraus entstand dann das Modell 100A (mit 6L6 Röhren), bzw. 100B (mit EL34 Röhren) mit seinen drei Kanälen, welches eine sehr große klangliche Palette bietet und wobei man sich klanglich an die Amps der 60er Jahr orientierte. Der erste Kanal ist ein Clean Channel und die beiden anderen sind eher Dirty Channels. Der Erfolg war groß und viele namhafte Künstler setzten auf den neuen Amp. 1995 wurde das Modell deutlich überarbeitet und der 101B erblickte das Licht der Welt der mehr Bedienelemente und zusätzliche Funktionalität bot. Auch dieser Amp bot drei Kanäle und war, wie schon sein Vorgänger, nicht gerade preiswert oder anders ausgedrückt: er gehörte zu den eher teuren Gitarrenverstärkern.
Der 101B bot nun Lautsprecher-Umschaltmöglichkeit und Leistungsabschwächer. Im Kanal 1 (Clean Channel) wurde um eine zusätzliche Verstärkerstufe und ein Boost-Funktion erweitert und auch die Kanäle 2 und 3 wurden etwas überarbeitet und man konnte den Amp nun zwischen Class-A- und Class-AB-Betrieb umschalten, um mal einige wichtige Punkte herauszunehmen. 1997 wurde der 101B dann in überarbeiteter Form, angeboten und viele Dinge waren nun als Optionen ausgeführt, wie der A/AB-Schalter und das Modell wurde nun im Schwarz ausgeliefert. Die Classic Version, die im Jahr 2001 vorgestellt wurde, war eine abgespeckte und preiswertere Version. 2009 wurde dann das 20th Anniversary Model des 101B vorgestellt, welches knapp unter 5.000 Euro kostet und das Flaggschiff-Modell ist. Die Frontabdeckung wurde bei den verschiedenen Modellen in Form und Farbe übrigens unterschiedlich ausgeführt.
Soweit zum Original. Jeder Hersteller von Amp-Simulationen, bzw. generell bei Simulationen von analogen Audiogeräten, hat so seine speziellen Verfahren zur Analyse und Umsetzung der Simulation in Echtzeit. Bei Mercuriall werden Schaltungskomponenten analysiert und simuliert, aber es kommt auch für sogenanntes Machine Learning zum Einsatz - ein Teilgebiet des Forschungsbereich der Künstlichen Intelligenz - um komplexe, nicht-lineare Gleichungen in Echtzeit umsetzen zu können. Mercuriall setzt sich zum Ziel eine möglichst genaue Umsetzung der dynamischen Vorgänge sowie des Spektrums mit den erstellten digitalen Modellen zu erreichen.
Euphoria basiert auf das 101B mit 12AX7GTR in der Vor- und Endstufe sowie EL34B in der Endstufe. Als Cabinets wird ein 2D Cabinet mit Impulsantworten von Redwirez, ein Bogner Uberkab 412 mit 4 x Celestion G12T-75, MESA/BOOGIE 412 mit 4 x Celestion V30s sowie Marshall 1960B mit 4 x Greenback oder JBL K120 geboten. In der Simulation sind drei Mikrofontypen anwählbar und zwar Shure SM57, Sennheiser MD441 und Royer R121.
Voraussetzungen und Installation
Das Euphoria wird sowohl für Windows (ab Windows 7) als auch macOS Betriebssystem (ab 10.12.6) angeboten und steht als Plug-In oder auch als Stand-Alone-Software zur Verfügung. Plug-Ins in folgenden Formaten bereit: VST2, VST3, AAX (ab Pro Tools 11) und auf macOS auch AU und zwar alles ausschließlich als 64-Bit-Plug-Ins. Die Plug-Ins unterstützen CPU Multi-Threading. Eine Voraussetzung ist eine CPU von Intel oder AMD mit SSE2 Support.
Der Autorisierungsprozess erfolgt zweistufig über eine Account bei Mercuriall nach der Software-Installation. Hierzu trägt man die Account-Zugangsdaten in die Software/Plug-In ein und gibt dann die Seriennummer für Euphoria ein, die im Account vom Hersteller hinterlegt ist. Nun wird auf der DAW eine Key Request ID angezeigt, die man wiederum im Mercuriall-Account übertragen muss. Nun erhält man ein Activation Key, den man wiederum in die Software oder das Plug-In eingeben muss um die Freischaltung abzuschließen.
Bedienung
Werfen wir einmal einen ersten Blick auf das Plug-In. Die Stand-Alone-Software ist bis auf den Kopf sowie den Audio-Interface-Einstellungen identisch mit dem Plug-In. Oben im Plug-In befindet sich die Auswahl für den aktuellen Preset mit Speichermöglichkeit von eigenen Presets sowie die Darstellungsgröße in drei Stufen, so das es auch mit 4K-Bildschirmen kein Problem mit der Darstellungsgröße gibt. Beim Klick auf die Stimmgabel öffnet sich ein Gitarren-Tuner mit virtuellem Zeigerinstrument. Ganz rechts lässt sich der Grad des Oversamplings einstellen. Bis zu achtfachem Oversampling ist bei 44,1 oder 48 kHz möglich und maximal vierfach bei doppelter Abtastrate. Durch das Oversampling reduziert man Aliasing-Störungen und Phasenverzerrungen.
Links unten kann man Ein- und Ausgangspegel einstellen und diese Pegel lassen sich über eine Bargrafanzeige auch kontrollieren. Neben dem Autorisierungs-Icon (Schlüssel) ist ein Icon zum Öffnen des Einstelldialogs angeordnet und daneben die Umstellung zwischen Mono- und Stereobetrieb. Im Stereobetrieb ist es so, dass Ein und Ausgang Stereophon ausgeführt sind. Es macht also auch nur Sinn den Stereobetrieb in einem Stereokanal zu aktivieren.
Nun zum virtuellen Top-Teil. Hier kann man über ein Schalter Class-A- oder Class-AB-Verstärkung auswählen. Mit dem MODE OLD / NEW ist eine Umschaltung zwischen Trioden- und Pentoden-Betrieb möglich. Dann gibt es noch zwei mit EXCURSION A/B bezeichnete Schalter mit jeweils drei Schalterstellungen. Hierüber kann man eine Art Resonanzverhalten einstellen. T (tight) ist dabei ein gleichmäßiger Sound und L (loose) forciert mehr die Bässe und M (medium) liegt dazwischen. Darunnter befinden sich die beiden Regler PRES A/B für die Presence-Einstellung. Mit dem Schalter SELECT B lassen sich die Excursion- und Presence-Einstellungen den Kanälen zuordnen und zwar bedeutet "0" eine Aufschaltung der Einstellungen von A auf alle drei Kanäle, "CH1" bedeutet B auf Kanal 1, also A auf 2 und 3 und "CH3" mein B auf Kanal 3 was heisst A auf Kanal 1 und 2. Gewöhnungsbedürftig aber die Einstellung bezieht sich eben auf EXCURSION B und PRES B.
Die Kanaleinstellungen lassen sich über die drei Channel-Indikatoren anwählen. Mit den fünf Reglern unter dem Euphoria-Logo lässt sich der Clean-, bzw. Green-Channel (LED-Indikatorfarbe Grün zugeordnet) anpassen in Ein- und Ausgangspegel sowie drei Klangreglern. Darüber sind zwei Schalter und zwar der BOOST und PRE EQ, die sich ebenfalls auf Kanal 1 beziehen. Die Bezeichnungen spricht hier für sich.
Die sieben Regler rechts daneben sind wiederum für die Einstellungen des Crunch-Kanals 2 (Blau) und des High-Gain-Kanals 3 (Rot). Darüber befinden sich wieder weitere Schalter für Klangeinstellungen. Besonders erwähnenswert ist hier der CH3 MOD, der sogenannte Cameron Modus der nochmal deutlich mehr Punch bietet der Plexi Mode der entweder ausgeschaltet oder sich für auf Kanal 2 oder 3 aktivieren lässt und den Flair der der Amps der 60er Jahre aus britischer Fertigung aufkommen lässt.
Kommen wir nun zu den einzelnen Sektionen. Wichtig hierbei zu erwähnen, dass sich sowohl Preamp und Power Amp einzeln aktivieren oder deaktivieren lässt. Kommen wir nun zu den Effekt-Sektionen, die in Preamp Ein- und Ausgangssektionen unterteilt sind. Die Effekte lassen sich über die Liste ein und ausschalten. Durch Anklicken auf den Namen öffenet sich der jeweilige Effekt und durch Klicken auf den Effekt oder auf das Kreuz oben links im Effektfenster verschwindet der Effekt wieder von der Bedienoberfläche. Die Effekte lassen sich auf der Oberfläche auch mit der Maus verschieben und wie gewünscht anordnen.
Das Noise Gate bietet neben der Einstellung des Gate-Schwellwertes die Einstellung der Attack- und Release-Zeit an sowie auch eine Hysterese für die Einstellung unterschiedlicher Ein- und Rücksetz-Schwellwerte. Das virtuelle Wah-Wah-Effekt-Pedal lässt sich in der Frequenz, der Filtergüte, dem Ausgangspegel und auch dem Ansprechverhalten einstellen.
Der nächste Effekt ist Overdrive. Hier gibt es drei unterschiedliche Effekte zur Auswahl die den Produkten Ibanez TS808, Mega/Boogie Grid-Slammer und dem Boss SD-1 nachempfunden sind. Die Effektprozessoren bieten alle die Einstellung des Drives, Ausgangspegels sowie der Klangfarbe. Ergänzt werden die Eingangseffekte noch durch ein Distortion wo das Boss MT-2 Pate stand (s. Abb. oben).
Neu hinzugekommen sind mit der Version 1.1, die im Juli 2020 veröffentlicht wurde, ein grafischer Equalizer (oben links) sowie ein parametrischer EQ (oben rechts) mit sechs parametrischen Filtern sowie einem Hoch- und Tiefpass.
Es gibt drei After-Preamp-Effekte und zwar einen Stereo Chrorus, ein Delay und ein Reverb (s. Abb. oben), die sich auch an typischen Gitarren Bodeneffektgeräte orientieren.
Wie alle modernen Amp/Cabinet-Simulationen bietet auch Euphoria die Möglichkeit verschiedene Cabinets und Mikrofone auszuwählen, was wir ja eingangs schon erwähnt haben. Die Positionierung der beiden Mikrofone vor dem Cabinet lässt sich mit der Maus einstellen (s. Abb. oben). In diesem Dialog lässt sich auch eine externe Impulsantwort für ein Lautsprecher-Cabinet laden sowie eine Impulsantwort für den Raum.
Praxis
Kommen wir als erstes einmal zur Bedienung. Das Vorbild 101B ist in einer Zeit entstanden, wo man sich eben mit vielen verschiedenen Preamps einen Sound zusammen gebastelt hat und Bogner hat mit seinem Amps dieses Konzept in ein Produkt vereint. Daher stammen auch bestimmte Einstellungen aus dieser Zeit und sind heute für Diejenigen, die die Bogner Amps nicht kennen vielleicht zunächst etwas rätselhaft. Euphoria ist also daher unter Umständen kein selbsterklärendes Produkt, wenn man sich zuvor noch nicht mit dem Original beschäftigt hat. Die Umsetzung des Originals finde ich aber persönlich als außerordentlich gelungen und es geht in einigen Punkten ja sogar über das Original hinaus.
Ab Werk werden 42 Presets von sechs Autoren angeboten. Diese haben zwar ein breites Spektrum von Sounds, schöpfen das Potential des Euphoria aber bei weitem nicht aus. Daher lohnt es sich auf jeden Fall auf Basis der Werks-Presets eigene Presets zu erstellen. Das Experimentieren lohnt sich und es lohnt sich auch sich einmal näher mit dem Original zu beschäftigen. Einiges findet man auf der Hersteller-Web-Site des Bogner Ecstasy sowie in Review der einschlägigen internationalen Gitarrenmagazine. Die Anleitung von Mercuriall hilft hier nur sehr bedingt weiter.
Die Bandbreite der Sound geht von Clean Sound bis hin zu Heavy Distortion Sounds. Man sollte sich unbedingt mit dem klangliche Potential der einzelnen Kanäle beschäftigen, die ja einen sehr eigenen und unterschiedlichen Charakter haben. Dabei sollte man den Clean-Channel 1 nicht vergessen, der sehr viel Potential bietet. Am besten fängt man bei der Einstellung mit einem Kanal an, der dem Basisklang des gewünschten Sounds am nächsten kommt und dann mischt man ggf. ein oder zwei der anderen Kanäle hinzu und verfeinert diese im Zusammenhang.
Wir haben den Euphoria auf Steinberg's Nuendo 10 unter Windows 10 auf einer X2 Audio-Workstation (2017) von XI-Machines getestet. Die Grundlast betrug ohne das Plug-In bei geöffneter Neundo DAW-Software bei 48 kHz Abtastrate ca. 7 % und nach Laden mit Oversampling x2 ca. 8 %. Beim maximalen Oversampling von x8 stieg die CPU-Belastung auf 10 %, alles übrigens bei einer GUI-Rendering über die Software. Erstaunlicherweise stieg die Belastung wenn man OpenGL in Euphoria für die Grafikausgabe anwählt auf bis zu 13 % an. Das sollte man auf der eigenen Workstation also immer prüfen ob die OpenGL-Aktivierung lohnenswert ist. Weiter ist noch anzumerken, dass wenn man zum Beispiel den Chorus in Stereo nutzen möchte man auch Euphoria in ein Stereokanal einfügen muss. Über eine Auswahl kann der Mono-Eingang im Stereobetrieb vom linken oder rechten Kanal aus erfolgen. Wichtig ist zu wissen, dass im Stereo-Betrieb die CPU Last von Euphoria noch einmal steigt. In unserem Fall maximal bei deaktivierter OpenGL-Funktion und maximalem Oversampling in Euphoria auf 13 %. Das sind aber insgesamt noch relativ zurückhaltende Werte. Unter anderen Bedingungen kann dies aber anders aussehen, je nach dem wie die Multi-Threading-Unterstützung von der DAW-Software realisiert ist.
Fazit
Der Preis für Mercuriall Euphoria liegt bei unter 100 Euro. Das ist für die Qualität und Vielseitigkeit von Euphoria absolut angemessen. Das Original der Bogner 101B ist sicherlich einer der flexibelsten Gitarrenverstärker. Nicht umsonst wird das Produkt so wie die 20-Jahres-Edition noch bis heute noch hergestellt. Dadurch erhält man mit dem Plug-In und der Stand-Alone-Software ein sehr vielseitiges Werkzeug, das deutlich mehr kann als viele anderen Plug-In-Simulationen. Die Simulation selbst würde ich als sehr gelungen bezeichnen. Mit seinen drei Kanälen geht Euphoria auch über bestimmte Möglichkeiten der universellen Gitarren-Amp-Simulationen wie TH-U oder Guitar Rig 5 hinaus, wobei diese wiederum im allgemeinen durch Ihre Modularität flexibler sind aber Euphoria ist hier eine mögliche Ergänzung die Sound-Palette noch weiter zu vergrößern.