3D-Audio-Recording aus Gefell
Einfach Hören ist gut, vom Klang umhüllt sein ist besser
Bild: Burger Klewitz
Voll einzutauchen in den Sound - ein alter Traum ist und Immersiv ist das aktuelle Zauberwort. So gibt es ein Streben nach dreidimensionalem Klang schon seit Jahrhunderten. Bereits im 16. Jahrhundert kam z.B. in Italien eine Musikpraxis auf, die als „venezianische Mehrchörigkeit“ Musikgeschichte schrieb. In bauakustisch geeigneten architektonischen Räumen, wie Kirchen und Kathedralen, wurde dabei erste Raumklangmusik durch mehrere Orchester bzw. Chöre erzeugt, die im Raum an verschiedenen Stellen platziert waren. Meister dieser Kunst waren u.a. Giovanni Gabrieli und Johann Sebastian Bach. Der Wunsch nach einem wesentlich intensiveren Hörerlebnis wuchs mit Beginn der Tonaufzeichnung. Meilensteine hierbei waren die Entwicklung der Stereofonie in den 50-er Jahren und deren spätere Erweiterungen wie der Quadrophonie in der Mitte der 1970er, einer frühen Form des Surround Sounds.
3D-Audio kontra Surround Sound
Immersive Sound unterscheidet sich durch eine zusätzliche Höhendimension, die subjektiv als eine klangliche Bereicherung empfunden wird. Bei heutigen herkömmlichen 5.1 oder 7.1 Surroundsound-Verfahren konzentriert sich das optimale Hörerlebnis auf einen relativ kleinen Bereich im jeweiligen Raumzentrum – den sogenannten „Sweet-Spot“. Eine optimale Wahrnehmung des Klangs ist nur dort möglich. Vereinfacht gesagt, steht „Surround“ nur für punktuellen 2D-Sound auf Ohrebene.
Die zusätzliche Höhenebene beim 3D-Audio-Verfahren vermittelt im Unterschied zu gängigen Surround-Sound-Verfahren das Gefühl des Vom-Klang-Umschlossen-Seins. Dies gilt vor allem für Aufnahmen in großen Räumen, wo auch Reflexionen von der Decke das Klangerlebnis stark beeinflussen. Erste Erfahrungen und technische Lösungen von 3D-Audio-Pionieren, wie die des norwegischen Musikproduzenten und Toningenieurs Morten Lindberg, zeigten das Potenzial der Integration einer zusätzlichen Höhenebene und inspirierten die MTG 3D- Audio F&E.
Impulsen aus der Musik und Filmbranche folgend, stellte sich Gefell in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig/HTWK deshalb schon frühzeitig den Herausforderungen an die Entwicklung praktikabler, vielseitiger und kostengünstiger 3D-Array-Lösungen mit eigenen Mikrofonen. Es galt dabei bestehende Skepsis seitens vieler Experten zu überwinden, da der Workflow oft als kompliziert, aufwendig und kostenintensiv sowie nicht kompatibel zu etablierten Prozessen angesehen wurde. Nichtsdestotrotz wurde weiter geforscht und im Rahmen von Abschlussarbeiten und Projekten an der HTWK Leipzig in Kooperation mit Praxispartnern dieses hochinteressante Thema untersucht.
Auf einer Diskussionssitzung der ITG- und DEGA-Fachausschüsse „Hörakustik“ und „Elektroakustik“ an Technischen Hochschule Deggendorf berichteten Dr.-Ing. Matthias Domke (MTG-Geschäftsführer) und Dipl.-Ing. (FH) Christian Birkner (HTWK Leipzig ) 2018 über erste Erfolge der Zusammenarbeit. Ein Novum war in diesem Kontext der (scheinbar) unkonventionelle Einsatz von Messmikrofonen für die 3D-Audioproduktion, der sich in Praxistests bei Konzert- und Liveaufnahmen sowie in der Filmproduktion bewährte.
Dresdner Kulturpalast - Konzert in 3D-Audio
Eine wichtige Bewährungsprobe konnte im März 2018 bei einem Mitschnitt des Konzerts von „Deine Lakaien“ in 3D-Audio erfolgreich gemeistert werden. Federführend war Sebastian Dieterle. Aufbauend auf seiner von Dipl.-Ing. (FH) Christian Birkner betreuten Bachelorarbeit zum Thema 3D-Audio nutzte er für seine 3D-Aufzeichnungen eine Yamaha QL1 Konsole und eine Rio3224-D und 9 Recording-MTG-Mikrofone auf einem würfelförmigen Gerüstaufbau. Vom an der Saaldecke hängenden Mikronfonarray wurden Anschlusskabel in den Dachboden des Kulturpalasts geführt, wo ein Yamaha Rio3224-D I/O-Rack Vorverstärkung und A/D-Wandlung übernahm.
Das Beispielprojekt in Dresden zeigte eindrucksvoll, dass sich hochwertige 3D-Aufnahmen mittels eines „Bundles“ aus Yamaha Komponenten, MTG-Mikrofonen auf einem würfelförmigen Gerüstaufbau sowie Produkten weiterer Hersteller einfacher und effektiver als jemals zuvor erstellen lassen.
Livemusik-Events - Jazzklänge in der Pfännerhall und "Spiritual Standards" in Erfurt
Vielseitigkeit und 3D - Praxistauglichkeit auch bei Livemusik-Events konnte im Dezember 2019 unter Beweis gestellt werden. Die beiden Vollblutmusiker Prof. Markus Burger/Kalifornien/USA (Piano) und Jan von Klewitz (Saxophon) spielten im Geiseltal (Sachsen-Anhalt) Kirchenmusik und weltliche Songs in einem neu interpretierten Jazzgewand. Ein Novum hierbei - die Songs wurden audiovisuell im 3D-Format aufgenommen. Microtech Gefell baute hierfür ein entsprechendes System für 3D-Aufnahmen auf. Christian Birkner von der HTWK Leipzig war für das System verantwortlich, mischte die Titel ab und verarbeitete auch die Aufnahmen zum endgültigen Musikerlebnis im 3D-Sound.
Weitere Meilensteine waren "Spiritual Standards", eine Symbiose aus Improvisation und Tradition von Klavier und Saxophon in einer der ältesten Kirchen Erfurts und 3D Aufnahmen in der Leipziger Peterskirche. Zum Einsatz kam hier die immersive Audio-Recording Lösung basierend auf einem 9-kanaligen Mikrofonsystem für laufzeitbasierte 3D Schallaufnahmen in der Variante „Circle Version“.
Immersive Ton- und Bildaufnahmen in Filmproduktion
„Mare Nostrum – The Nightmare“, eine deutsch-italienische Film- Koproduktion die im November 2019 auf dem „360°-Film-Festival“ in Paris Premiere feierte, bietet dem Betrachter eine mitreißende Experience über eine immer noch gegenwärtige humanitäre Katastrophe.
Als mitreißende 360°-Dokufiction über die Erlebnisse eines jungen Flüchtlings auf dem Weg nach Italien, schildert der Film die Geschichte eines Jungen, der wie tausende Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten, genau diese Reise als letzten Ausweg für sich sieht und daraufhin eine fatale Odyssee antritt. Mare Nostrum zieht die Zuschauer mit einzigartigem immersiven Storytelling in den Bann. Brillante stereoskopische 8K-Panoramen von Aspekteins treffen hier auf ein fesselndes, von der MediaApes GmbH aufwändig produziertes 3D-Sounddesign. Um den Film zu einer Experience zu machen, nahm Nûjîn Kartal, Immersive Audio Spezialist der MediaApes GmbH, den Ton mittels einer mit MTG-Mikrofonen bestückten Cubekonstruktion in 3D, 360° und objektbasiert auf.
Best of Show – Gefell`s M Cube
Die Audio Engineering Society/AES ist die einzige Fachgesellschaft, die sich ausschließlich der Audiotechnik widmet und als internationale Organisation Toningenieure, kreative Künstler, Wissenschaftler und Studenten weltweit vereint. Absolute F&E-Highlights sind die AES Conventions, ein Magnet auch für die internationale Fachpresse, so wie z.B. für das führende professionelle „MIX“ - Audiomagazin für High-End-Recording, Live-Sound und Sound-for-Picture .
Microtech Gefells M Cube-System konnte auf der 147. AES Conventionnicht nur erfolgreich präsentiert werden, es wurde darüber hinaus von Redakteuren des Mix Magazins der Kategorie „Best of Show“ zugeordnet.
M Cube - Die Kunst liegt in der Einfachheit
Der stetig weiter entwickelte M Cube ist ein 9-Kanal-Mikrofonsystem für zeitverzögerte 3-dimensionale Aufnahmen. Zum Einsatz kommen, was auf den ersten Blick unkonventionell scheint, Messmikrofone.
Neun omnidirektionale Druckmikrofone sind in der Form eines Würfels mit einer Länge von ca. einem Meter pro Seite angeordnet. Die Positionen sind variabel einstellbar - so können die Abmessungen der Mikrofonanordnung an die Dimensionen des Raumes und der Schallquelle angepasst werden. Die Montagestangen sind mit Abstandsmarkierungen versehen, so dass jede Einstellung leicht wiederholt werden kann.
Der M Cube wird als 5.0-Array mit vier weiteren Mikrofonen zur Höheninformation aufgebaut. Fünf Kondensatormikrofone M 102 werden für die untere Ebene und vier Kondensatormikrofone M 221 für die obere Ebene verwendet. Durch Einsatz omnidirektionaler Druckmikrofone ist der Frequenzgang unabhängig von der Entfernung zur Schallquelle, es gibt keinen Nahbesprechungseffekt und die Empfindlichkeit gegenüber Windgeräuschen ist minimal.
Zertifizierte WS1F- und WS2F-Messmikrofonkapseln in Verbindung mit einem 48-V-Phantom-Vorverstärker (der die Kapselvorspannung intern auf die erforderlichen 200 V anhebt) sichern einen konstanten Betrags- und Phasengang entsprechend der engen Toleranzen der DIN EN 61094-4 und langzeitstabile Übertragungseigenschaften. Lediglich die Kapseldurchmesser und der Rauschpegel des M 102 und des M 221 sind unterschiedlich, alle anderen Übertragungseigenschaften und der Aufbau beider Mikrofone sind identisch.
Aufgrund der hohen Mikrofonempfindlichkeit von 50mV/Pa ist eine geringere Vorverstärkung notwendig. Dies führt zu einem geringeren Rauschpegel bei der Aufnahme. Die optionale Verwendung akustischer Entzerrungskugeln für das M 221 führt zu einer zusätzlichen akustischen Verstärkung in den hohen Frequenzen. Durch die Verwendung von Metallmembranen sind die Mikrofone sehr unempfindlich gegenüber Veränderungen der Luftfeuchtigkeit. Alle Teile der Kapsel - einschließlich der Membran - sind aus Nickel gefertigt und daher sehr unempfindlich gegenüber Temperaturschwankungen. Mit einem handelsüblichen Schallkalibrator können die Mikrofone mit einem genau definierten Schalldruckpegel versorgt werden. Dadurch können alle Mikrofone auf eine gleiche Verstärkung eingestellt werden und auch nachfolgende Geräte optimal auf den zu erwartenden Schalldruckpegel an der Mikrofonposition eingestellt werden.