sE RNT Röhren-Großmembranmikrofon

Autor: Peter Kaminski | Fotos: Peter Kaminski und Archiv (4)

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2018 stellte sE das Röhrenmikrofon RNT vor, das zusammen mit Rupert Neve Designs entwickelt wurde. Dass das RNT nicht einfach ein weiteres Röhrenmikrofon, sondern ein Mikrofon mit eigenem Klangcharakter darstellt, nehmen wir einmal vorweg. Das Lesen dieses Tests lohnt sich, denn Sie werden sicherlich das eine oder andere neue über das Mikrofon lesen.

Konzept und Technik

Die Idee gemeinsam ein Großmembranmikrofon zu bauen gab es von sE und Rupert Neve Designs schon im Jahr 2013 aber man entschloss sich erst einmal das Bändchenmikrofon RNR1 und das Kleinmembranmikrofon RN17 zu entwickeln. Erst dann machte man sich an die Entwicklung des aktuellen Flaggschiff-Produktes RNT.

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Das Produkt besteht aus zwei Komponenten und zwar dem eigentlichen Mikrofon und der Floor Box, die Netzteil und gleichzeitig Verstärker- und Fernbedieneinheit in einem ist. Aber werfen wir zunächst einmal einen Blick auf das Mikrofon selbst.

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Bei der Kapsel handelt es sich um eine Kondensatorkapsel mit eineml Durchmesser von einem Zoll (25 mm). Das Mikrofon selbst hat einen Durchmesser von 62 mm und eine Länge von 240 mm (Gewicht 989 Gramm). Herz des Ganzen ist die verwendete Doppeltriode ECC82 von Genalex. Genalex ist ein bekannter Hersteller von hochwertigen, handselektierten Röhren. Häufig wird eine Hälfte der Doppeltriode bei Röhrenschaltungen gar nicht benutzt oder eine als Verstärker und die andere als Impedanzwandler. Das ist beim RNT anders, denn dort sind beide Triodensysteme parallel geschaltet und arbeiten als Impedanzwandler mit einer Verstärkung von eins. Sie werden mit einer Anodenspannung von 180 Volt versorgt. Dieser niederohmige Betrieb ermöglicht es den nachfolgenden Transformator von Rupert Neve Designs anzusteuern. Das Ausgangssignal des Transformators geht dann über das Anschlusskabel in die Floor Box. Der Transformator ist handgewickelt und ebenfalls von Rupert Neve Designs hergestellt und trennt das Mikrofon galvanisch von der Floor Box.

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Wie schon erwähnt erfolgt die Verstärkung in der Floor Box. Hier kommen zwei spezielle Operationsverstärkermodule des Typs RN4514 von Rupert Neve Designs zum Einsatz. Statt mit den üblichen +/-15 Volt werden diese Module mit +/-36 Volt betrieben, was einen größeren Dynamikbereich ermöglicht. Man sieht auch in dem unteren Schnittbild sehr gut die Anordnung der Operationsverstärker und wie nah sie an der Eingangsbuchse angeordnet und wie kurz die Leitungswege sind.

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Auch in der Floor Box befindet sich noch ein zweiter völlig überdimensionierter Transformator von Rupert Neve Designs am Ende des Signalweges, der das Signal symmetriert und natürlich auch klangformend wirkt. Die Transformatoren sind übrigens magnetisch mit Mu-Metall geschirmt. In der Schaltung ist auch ein Hochpassfilter integriert.

Das Netzteil um die Betriebsspannungen für die Operationsverstärker und die Röhre zu erzeugen ist analog aufgebaut - also ganz bewusst kein Schaltnetzteil. Der Netztransformator ist ein Ringkerntrafo, der ebenfalls sehr großzügig bemessen ist und für ein minimales, magnetisches Streufeld sorgt. Nicht umsonst ist das Gehäuseausmaß der Floor Box mit 356 x 135 x 100 mm nicht gerade klein und auch das Gewicht mit 3,91 kg spricht für seine Solid-State-Bauweise.

Hier noch ein paar ergänzende technische Daten. Der Übertragungsbereich beträgt 20 Hz bis 20 kHz, die Empfindlichkeit 16 mV/Pa, der maximale Schalldruck 151 dB SPL (@ 0,5 % THD), der Äquivalente Rauschpegel liegt bei 18 dB (A-gewichtet), der Störabstand bei 76 dB  und der Dynamikumfang bei 133 dB. Die Ausgangsimpedanz beträgt 30 Ohm und es wird eine Anschlussimpedanz von größer als zwei Kiloohm empfohlen.

Handhabung und Bedienung

Die Bedienung des Mikrofons erfolgt komplett an der Floor Box. Auf der Frontseite sind hier jeweils ein Schalter für ein Hochpassfilter mit einer Steilheit von 12 dB/Okt. und zwei wählbaren Grenzfrequenzen (40 Hz oder 80 Hz) sowie der Verstärkung (-12, 0 oder +12 dB). Über einen Drehschalter lässt sich die Richtcharakteristik von Kugel über Niere bis zu einer Acht-Richtcharakteristik in neun Stufen einstellen.

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Mitgeliefert wir auch eine robuste Spinne (s. Abb. unten). Das Mikrofon wird in diese eingelegt und dann durch Verschraubung arretiert. Man sollte übrigens ein robustes Stativ einsetzen, denn die deutlich über ein Kilogramm Gewicht mit Spinne sind für leichte Stative schon eine Herausforderung.

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Lieferumfang

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Geliefert wird das RNT in einem robusten Flight-Case-Koffer mit Kantenschutz mit Kabel (Netzkabel und Verbindungskabel Mikrofon/Floor Box), Floor Box und das Mikrofon in einer Holzschatulle sowie ein mehrsprachiges Handbuch (auch Deutsch).

Interview mit Thomas Stubics von sE Electronics

Wir haben noch ein ergänzendes und interessantes Interview mit Global Product LIne Manger Ing. Thomas Stubics von sE durchgeführt.

proaudio.de: Thomas vielleicht erst einmal noch bitte ein paar Details zur Kapsel und dem Mikrofondesign denn da gibt es ja schon einige Auffälligkeiten.

Thomas Stubics: sE hat ja viel Erfahrung mit der Entwicklung von Großmembranmikrofonen. Aber nicht nur die Kapsel, sondern auch der Korpus hat durch seine geometrischen Abmessungen ja Einfluss auf den Klang. Gerade beim RNT gibt es eine ungewöhnliche Kapselanordnung innerhalb des Mikrofongehäuses, aber das ist kein Zufall sondern ganz bewusst gestaltet worden, um unsere Klangvorstellungen zu erreichen. Die verwendete Kapsel ist die mit Abstand die aufwendigste Kapsel, die wir je entwickelt haben. Die hauchdünne Membran, deren Stärke, die ihre Abstimmung der Resonanzfrequenz und die Geometrie der Backplate, die auch die Richtcharakteristik mitbestimmt, sind über viele Hörversuche optimiert worden. Wir haben beim RNT die Messlatte nochmal nach oben angehoben, denn und hatten eine eigenständige Klangvorstellung, die sich überhaupt nicht an anderen Mikrofonen orientiert hat. Unser Anspruch war ein spürbar angedickter Klang und gleichzeitig eine Präsenz, Nähe und Luftigkeit, ohne dabei keinesfalls zu spitz zu klingen. Das RNT ist unserer Meinung nach mehr als einfach ein Röhrenmikrofon. Es ist nicht nur Rupert Neve Designs Philosophie in das Mikrofon eingeflossen, sondern auch jede Menge an Akustik- und Kondensatorkapsel-Design und ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen.

proaudio.de: Neben den Transformatoren sind ja auch die Operationsverstärker und die Schaltung in der Floor Box mit klangbestimmend.

Thomas Stubics: Rupert Neve hat Pionierarbeit auf dem Bereich geleistet. Ein wesentlicher Bestandteil der Rupert Neve Klang-Philosophie ist in der Tat der Einsatz seiner handgewickelten Transformatoren, die auch speziell angesteuert werden. In dem Rupert Neve Flaggschiff Mischpult 5088 findet man auch die gleichen diskreten Operationsverstärker in moderner SMD-Technik wie beim RNT. Sie arbeiten mit einer viel höheren Betriebsspannung und können so auch höhere Signalpegel verarbeiten. 

proaudio.de: Ja und auch bei der Röhre, bzw. Röhrenschaltung gibt es ja ein paar Besonderheiten.

Thomas Stubics: Genau, nach langem hin und her hat man sich für eine spezielle Röhrenschaltung entschieden. Es wurde nach einer Röhre gesucht, die auch direkt den ersten Übertrager möglichst niederohmig antreibt. Wie man auch feststellten musste, gibt es bei den Röhren große Qualitätsunterschiede, gerade beim Thema Rauschverhalten, was sich nicht nur im Hörtest sondern auch mit einigen Hürden messtechnisch gut nachweisen ließ. Beim RNT kommt eine besonders hochwertige ECC82 von Genalex zum Einsatz, die das geringste Rauschen verursachte und geringsten Qualitätsunterschiede aufwies und auch wahrscheinlich gerade deshalb zu den teuersten Röhren am Markt zählt.

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proaudio.de: Welchen Einfluss hat Rubert Neve bei der Entwicklung des RNT und wie sah denn die Zusammenarbeit genau aus?

Thomas Stubics: Sowohl Firmengründer Siwei Zou von sE Electronics als auch Rupert Neve haben beide an diesem Projekt federführend mitgearbeitet. Die Entwicklung ging über eine sehr lange Zeit. Es gab hier auch eine Kompetenzverteilung. So waren wir bei sE verantwortlich für das mechanische Design, das Kapsel- und Akustikdesign und die Schnittstelle zwischen Kapsel und Elektronik zuständig sowie die zeitaufwändige Produktion per Hand erfolgt in unserer Zentrale in Shanghai. Die empfindliche Eingangssektion kam von uns und weitere Schaltungselemente wurden von Rupert Neve entwickelt. Die speziellen Transformatoren und die diskret aufgebauten Operationsverstärker werden übrigens direkt von Rupert Neve Designs geliefert. Die komplette Handfertigung von der Kapsel bis hin zur Endprüfung erfolgt bei sE Electronics.

Gab es im Zuge der Entwicklung neue Muster, so wurde stets auf beiden Seiten eifrig getestet. Bei Rupert Neve Designs ist man sehr kompetent und hegt hohe Ansprüche. Rupert Neve hat ein Team von sehr guten Ingenieuren und es macht eine Freude zusammenzuarbeiten. Da kommt es schon mal vor dass man über einzelne Widerstände- oder Kondensatoren ausgiebig philosophiert.

Praxis

Getestet haben wir das Mikrofon im Hamburger Studio The Marmelade. Hierbei hat uns Herbert Böhme (s. Foto unten) wieder mal tatkräftig unterstützte. sE RNT haben wir sowohl mit Gesang und Stimme als auch mit akustischer Gitarre getestet.

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Schon bei den ersten Testaufnahmen wird deutlich was da vor uns steht. Das sE RNT ist keinesfalls ein lineares Mikrofon oder ein klangliches Abbild eines anderen Großmembran-Röhrenmikrofones. Es hat einen eigenen Charakter mit deutlicher Färbung und das sowohl im spektralen Bereich als auch in seinem Dynamikverhalten. Wir haben einmal unten die Übertragungs- und Polardiagramme der wichtigsten Richtcharakteristiken abgebildet. Diese Grafiken können aber nicht ansatzweise das vermitteln was das RNT an Klang bietet.

Die Bässe und die Mitten sind warm und rund und die Höhen bieten eine Präsenz und zwar so, dass die Instrumente im Mix auch präsenter sind aber sich trotzdem sehr gut in den Gesamt-Sound integrieren. Aber das Spektrum ist beim RNT nicht alles. Es bietet so eine Art Vorkompression, die aber als eine Kompression direkt nicht wahrnehmbar. Es sind dabei auch keine Verzerrungen wahrnehmbar. Mit Worten ist das RNT nur schlecht zu beschreiben. Denjenigen die sich für das Mikrofon interessieren kann man eigentlich nur raten es unbedingt auch mal in der Praxis auszuprobieren.

Jetzt stellt sich aber noch die Frage für welche Aufnahmen kann man den das RNT empfehlen. Prädestiniert ist das RNT auf jeden Fall für alle Arten von Vocals aber auch für Sprachaufnahmen und daher nicht nur für die Musikproduktion sondern auch für den Bereich Vertonung von Werbung äußerst interessant. Sicherlich auch für Akustikgitarre und andere Seiteninstrumenten lässt sich das RNT hervorragend nutzen und zwar sowohl bei Soloaufnahmen als auch bei Aufnahmen mit mehreren Instrumenten. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Einsatzmöglichkeiten.

Bei den Tests hatte ein Toningenieur eigentlich genau den richtigen Kommentar abgegeben. Er war nämlich erstaunt, dass er mit dem RNT überhaupt kein Equalizer einsetzen musste, denn das Mikrofon tat nach seine Einschätzung ohne Processing schon das, was man sonst eigentlich mühsam versucht hätte am Pult herauszuarbeiten.

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Fazit

Der Preis des sE RNT liegt bei knapp über 3.000 Euro. Wenn man die Verarbeitung, die verwendeten Materialien und letztendlich dann auch noch den Klang berücksichtigt ein ganz und gar angemessener Preis. Mit diesem Produkt kauft man nicht einfach ein Röhrenmikrofon sondern auch den typischen und einmaligen Rupert Neve Designs Sound. Das sE RNT ist kein einfacher Schallwandler sondern ein ästhetischer Klangformer, der im Bereich der Mikrofone seinesgleichen sucht. Auch wer schon sein Mikrofonschrank im Studio mit den üblichen Klassikern gefüllt hat, ist sehr gut mit dem sE RNT bedient, denn es kling doch so anders als die anderen Mikrofone und es verleiht dem einen oder anderem Instrument oder Sänger einen besonderen Sound und dass auch ohne großes Audio-Processing am Pult.

www.seelectronics.com
www.megaaudio.de