Digital Audio Broadcast - Chance für die Zukunft des Hörfunks in Deutschland
Das Thema digitaler Hörfunk ist durch ein neues bundesweites Programmangebot, welches im Spätsommer gestartet wird, wieder in alle Munde. Daher möchten wir einmal die aktuelle Situation und die Zukunft des digitalen Hörfunks in Deutschland näher beleuchten. Chefredakteur Peter Kaminski sprach dazu mit Dr.-Ing. Chris Weck vom Deutschlandradio.
Dr. Weck studierte Elektrotechnik mit Schwerpunkt Nachrichtentechnik an der TU Berlin und promovierte auf dem Gebiet der quellenadaptiven Kanalcodierung. Seinen beruflichen Werdegang begann er 1986 beim Institut für Rundfunktechnik in München. Im Jahr 2000 wurde Dr. Weck die Leitung des Geschäftsfeldes Programmverbreitung beim IRT übertragen. Im April 2007 wechselte Dr. Weck zu Deutschlandradio und er leitet dort die Hauptabteilung Rundfunk- und Informationstechnik.
proaudio.de: DAB hat ja einen langen Weg in Deutschland hinter sich, der in den letzten Jahren etwas von einem Stillstand geprägt war. Warum brauchen wir eigentlich überhaupt den digitalen Hörfunk?
Dr. Weck: Wenn wir von DAB sprechen, sprechen wir von digitalem Hörfunk über terrestrische Sender, also darüber, wie wir von der bisherigen analogen Übertragung auf eine digitale wechseln können. Der Digitalisierungsprozess hat ja in allen anderen Medienbereichen bereits stattgefunden. Der terrestrische Hörfunk tut sich da etwas schwerer, obwohl sehr viele Gründe für einen Wechsel zum digitalen Hörfunk sprechen. Wenn wir bedenken, dass der AM Mittelwellenrundfunk seit 1923 und der FM UKW-Hörfunk seit 1948 existiert, dann erübrigt es sich wohl zu erklären, dass diese dort angewandten Techniken nicht mehr zeitgemäß sind. Wir brauchen in unserem heutigen digitalen Zeitalter auch für den Hörfunk eine adäquate Lösung. Die analoge Technik hat massive Einschränkungen, z. B. im Hinblick auf die Quantität des Programmangebots durch die begrenzten UKW-Frequenzressourcen. Bei der letzten Ausschreibung von UKW-Frequenzen in Berlin haben sich für fünf Frequenzen fast 30 Rundfunkanbieter beworben. Hier herrscht also ein großer Engpass. Für den Hörer ist eine größere Programmvielfalt ohne Frage wünschenswert. Mit der digitalen Hörfunktechnik könnten wir im VHF-Band III fast zehnmal mehr Programme als in UKW übertragen. Der zweite Punkt ist die Qualität. Wir bekommen sehr viele Hörerzuschriften in denen bemängelt wird, dass Deutschlandradio nicht überall empfangen werden kann. Mit der digitalen Hörfunktechnik lässt sich nicht nur die Audioqualität steigern sondern vor allem auch die flächenmäßige Abdeckung verbessern. Für Deutschlandradio Kultur beträgt die derzeitige Flächenabdeckung nur 51 Prozent und für das Programm Deutschlandfunk ca. 70 Prozent. Dazu haben wir 304 Sender im Einsatz. Die digitale Technik ist hier viel effizienter und somit auch viel wirtschaftlicher. Wir rechnen hier mindestens mit einem Faktor von vier, die sich langfristig an Verbreitungskosten für ein Programm einsparen lassen. Aber auch aus ökologischer Sicht ergeben sich Vorteile. Eine Digitalradio-Ausstrahlung benötigt fünfmal weniger Energie. Da kann man nicht mehr ganz nachvollziehen, warum politische Parteien, die ökologische Aspekte immer wieder betonen, sich nicht für die Digitalisierung des Hörfunks einsetzen. Hier ist ein Umdenken erforderlich.
proaudio.de: Welche Rolle spielt denn der neue bundesweite DAB+ Multiplex für die Weiterentwicklung des digitalen Hörfunks?
Dr. Weck: Mit dem neuen bundesweiten Programmangebot werden mehr als zehn Programme in ganz Deutschland empfangbar sein. Dieser bundesweite DAB+-Multiplex gibt sozusagen den Startschuss für weitere landesbezogene, regionale und lokale Programmangebote und auch für viele interessante Entwicklungen im digitalen Hörfunk. Neben den drei Programmen von Deutschland Radio wie Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und DRadio Wissen werden auch noch Programmangebote der REGIOCAST DIGITAL GmbH, der Radio 97,1 MHz Hamburg GmbH (ENERGY), ERF Medien e.V., Entspannungsradio GmbH i.Gr., der Die neue Welle Rundfunk-Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG und Launch FM übertragen. Die medienrechtliche Ausschreibung für weitere nationale Programmanbieter läuft gerade. Auch die ARD-Anstalten und Landesmedienanstalten planen in den einzelnen Bundesländern weitere landesweite und regionale Angebote.
proaudio.de: Hörfunk ist ja Ländersache und in der Vergangenheit war ja ein spürbares Süd/Nordgefälle in der Zustimmung zu DAB feststellbar. Hat sich dies geändert?
Dr. Weck: Besonders im Süden Deutschlands gibt es viel schwierigere topografische Empfangsbedingungen als im geografisch eher flachen Norden. Daher hat man im Süden schon frühzeitig die Vorteile einer digitalen Hörfunkübertragung erkannt. Die Digitalradiotechnik ermöglicht z. B. den absolut ungestörten flächendeckenden Empfang von Radioprogrammen, was wegen der erforderlichen Frequenzplanung für die analoge Verbreitung so nicht realisierbar ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Digitalradioversorgung in Bayern. Aber auch in den nördlichen Bundesländern hat man mittlerweile erkannt, dass wir eine Weiterentwicklung des Hörfunks brauchen, die mit der analogen Technik so nicht möglich ist.
proaudio.de: Muss man nicht den Schritt direkt zu DAB+ mit dem gegenüber DAB effizienteren Audiocodec machen?
Dr. Weck: Der Schritt zu DAB+ ist eine Frage der Empfängertechnik. Es lassen sich ja auch kombiniert DAB und DAB+ übertragen. Besonders bei Musik ist der neue Audiocodec interessant und effizient. Wir bei Deutschlandradio haben uns auf Grund der Hörer, die sich schon mit DAB-Empfangsgeräten ausgerüstet haben, dazu entschlossen unsere Programme Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur noch für eine längere Übergangszeit im DAB-Toncodierungsstandard zu senden. Da der Sprachanteil in unseren Programmen sehr hoch ist, würde der Hörer die erhöhte Qualität des bei DAB+ eingesetzten Audiocodecs auch weniger wahrnehmen. Der DAB+ Multiplexer ist aber auch dynamisch konfigurierbar und so kann bei Bedarf die Qualität auch temporär, also Sendungsbezogen verbessert werden. Unser neues Programm DRadio Wissen wird jedoch in dem neuen DAB+ Standard übertragen.
proaudio.de: Wie sieht es denn mit der Übertragung von multimedialen und Zusatzdaten aus und ist auch die Übertragung von Mehrkanalton vorgesehen?
Dr. Weck: In dem bundesweiten Multiplexer werden auf jeden Fall multimediale Zusatzdienste angeboten. Einen Schwerpunkt werden wir auf den Elektronischen Programmführer (EPG) legen. Darüber lässt sich dann eine bestimmte Sendungen im Empfangsgerät auch für eine Aufnahme und Speicherung programmieren. Weiter werden begleitend zur Sendung auch Text und Bildinformationen sowie auch strukturierte Daten wie Nachrichten, Verkehrs- oder Wetterinformationen übertragen. Es ergeben sich viele Möglichkeiten, die wir bereits aus dem Internet kennen, aber natürlich ohne einen Rückkanal nur mit lokaler Interaktivität. Wir sehen in Zukunft aber auch hybride Anwendungen, eine Kombination von Diensten für Geräte, die sowohl DAB-Empfang als auch Zugang auf das Internet bieten. Es gibt sogar heute schon DAB-Empfangsgeräte, welche in der Lage sind, solche multimedialen Daten darzustellen. Auch Informationen für Navigationssysteme werden in Zukunft über Digitalradio übertragen werden.
Der DAB-Standard bietet ja auch alles, was man für die Verbreitung von Mehrkanalton benötigt. Bei Deutschlandradio ist der Multiplexer mit einer Surround-Einheit ausgestattet. Es gibt allerdings noch nicht so viel Quellenmaterial, so dass zu Beginn die Surround-Übertragung eher noch die Ausnahme bilden wird. Mit der Zeit wird sich hier sicherlich noch eine Angebotsentwicklung ergeben. Hier möchten wir auch mit den ARD-Anstalten zusammenarbeiten.
proaudio.de: Wann startet denn das bundesweite DAB-Angebot?
Dr. Weck: Zum 1. August 2011 soll dieses Angebot mit mehr als zehn Programmen starten und es werden zunächst 27 Sender aufgebaut. Wir können damit schon ab Start über diesen Verbreitungsweg ca. 39 Mio. Hörer portabel indoor und knapp 50 Mio. Hörer mobil erreichen, wobei die Flächenabdeckung zu Beginn erst ca. 39% umfassen wird. Es wird also zunächst besonders ein Empfang in Ballungsgebieten gewährleistet und sukzessive wird dann das Netz ausgebaut. Deutschlandradio ist sehr daran gelegen, den Ausbau in der Fläche noch zu beschleunigen.
proaudio.de: Ein Problem waren ja bisher auch die verfügbaren Endgeräte. Wie hat sich die Lage bei der Verfügbarkeit von Empfangsgeräten geändert?
Dr. Weck: Hier sieht die Situation deutlich besser aus als noch vor einigen Jahren. Geräte für den Hausgebrauch werden mittlerweile schon für unter 40 Euro angeboten. Es gibt mittlerweile auch Smartphones mit DAB-Empfangsteil und die Anzahl der Produkte wird in naher Zukunft deutlich steigen. Es spricht also nichts gegen eine kombinierten Gerätenutzung von Digitalradio und Internet. Dies ergänzt sich sehr gut.
proaudio.de: Wie bekommt man denn auch die privaten Anbieter dazu, DAB als eine interessante Verbreitungsplattform zu erkennen? Müssen hier nicht auch politische Weichen gestellt werden?
Dr. Weck: Durch das erhöhte Programmangebot in der digitalen Welt verändert sich natürlich auch die Konkurrenzsituation im Radiomarkt. Daher gibt es Hörfunkanbieter, die mit dem bisherigen, abgeschotteten UKW-Radiomarkt aus ihrer Sicht sehr zufrieden sind und in der Tat kein Interesse an DAB zeigen. Das kann aber auf Grund der Vorteile des digitalen Hörfunks nicht das Ziel einer nachhaltigen Hörfunkpolitik sein. Hier ist natürlich auch die Politik gefragt, entsprechende Anreize für die Einführung eines digitalen Hörfunks zu schaffen. Viele kommerzielle Radiounternehmen scheuen aber die Übergangsphase, denn hier müssen zwei Übertragungswege bezahlt werden und die DAB-Hörer sind zunächst noch in der Minderheit um ausreichend Werbeeinnahmen zu generieren. Die einzige Möglichkeit hier voranzukommen ist, Digitalradio-fähige Geräte in den Markt, sprich z. B. auch in die Fahrzeuge zu bringen.
Wir begrüßen daher den Ansatz, den Verkauf von digitaltauglichen Radiogeräten ab dem Jahr 2013/2014 gesetzlich zu verankern und den Verkauf von rein analogen Geräten spätestens dann zu beenden. Im aktuell gültigen Telekommunikationsgesetz ist sogar ein Ende der Frequenzzuteilung für den UKW-Rundfunk bis 2015 vorgesehen. Dieses Datum ist sicherlich nicht mehr realistisch und wird etwas nach hinten verschoben werden, aber alle Hörfunkanbieter, die über ein Hörfunkmedium in Zukunft präsent sein wollen, müssen sich also jetzt über einen Umstieg in die digitale Hörfunktechnik Gedanken machen. Dies sollte bei dem langfristigen Einsparpotential von DAB den Hörfunkanbietern eigentlich nicht zu schwer fallen. Die zusätzlichen Kosten nämlich, die durch eine zehn- bis zwölfjährige Simulcast-Phase entstehen, sind drei Jahre nach der Umstellung und Abschaltung von UKW wieder amortisiert.
proaudio.de: Spielt DRM auf Mittelwelle oder DVB-T als Alternative überhaupt noch eine Rolle in Deutschland?
Dr. Weck: Unsere Meinung bei Deutschlandradio zu DRM auf Mittelwelle ist folgende: Wir haben in Deutschland eine relativ dichte Besiedelung und so ist eine hundertprozentige Abdeckung mit DAB+ sinnvoll und möglich. Wenn wir dieses Netz dann haben, dann gibt es keinen Zusatznutzen, den die digitale Mittelwelle noch bieten könnte, zumal mit dieser Technik für das gleiche Geld nur etwa ein Zehntel der Kapazität übertragen werden könnte. Anders sieht es sicherlich in Ländern aus, wo man eine sehr dünne Bevölkerungsdichte vorfindet und es sich nicht lohnt eine Infrastruktur mit so vielen Sendern aufzubauen. Dort hat DRM eine ganz andere Bedeutung. Es ist aber trotzdem nicht ausgeschlossen, dass auch in Deutschland bestimmte Anbieter in Zukunft auf eine DRM-Technik zurückgreifen.
Die Frage nach DVB-T ist eigentlich die Frage, inwieweit ein Fernsehsystem auch für die Verbreitung von Hörfunkprogrammen geeignet ist. Die Frage ist prinzipiell erst einmal mit ja zu beantworten. Es werden ja auch über DVB-S Fernseh- und Hörfunkprogramme übertragen und auch über die Kabelnetze werden ja digitale Fernseh- und Hörfunkprogramme in gleicher Technik verbreitet. Bei der Ausbreitung über terrestrische Sender ergibt sich aber ein wesentlicher, ganz grundsätzlicher Unterschied und zwar abhängig von der Versorgungszielsetzung. Soll z. B. über ein Sendernetz insgesamt eine sehr hohe Datenrate übertragen werden oder wird insgesamt nur eine geringe Datenrate benötigt. Im letzten Fall ist jedoch eine viel höhere Reichweite eines Senders möglich, was für eine Flächenversorgung notwendig ist. Das bestehende und derzeit voll ausgebaute DVB-T-Netz deckt lediglich 15 Prozent der Fläche in Deutschland für einen portabel-indoor-Empfang ab. Mit Richtantennen auf dem Hausdach können ca. 90 Prozent der Bevölkerung DVB-T empfangen. Aber gerade das Radio soll mobil überall ohne großen Aufwand empfangbar sein – auch portabel unter Indoor-Empfangsbedienungen. Für diese Anforderungen ist das DVB-T-Netz überhaupt nicht ausgelegt. Es wäre auch aus Kostengründen für die hohen erforderlichen Datenraten für Fernsehen oder gar HDTV überhaupt nicht realisierbar. Der Hörfunk hat eben die Anforderung an eine geringe Datenrate und an eine Vollflächenversorgung, im Gegensatz zum digitalen Fernsehen.
Dazu kommt noch, dass die DAB-Technologie seinerzeit speziell auf den mobilen Empfang zugeschnitten wurde. DVB-T2 bietet zwar neuere technische Ansätze aber wenn man diese Innovationen auch in die DAB-Empfängertechnik einfließen lässt, dann ergibt sich auch hier eine so hohe Leistungsfähigkeit, dass die Grenzen der Physik nahezu ausgereizt werden. So bietet heute auch DVB-T2 wenig Anlass, es als digitale Hörfunkalternative zu betrachten, insbesondere weil die hohe Markreife von DAB mit vielfältigen, mittlerweile sehr kostengünstigen Empfangsgeräten die umfassende Digitalisierung des Hörfunks schon jetzt ermöglicht. Damit lassen sich die Begrenzungen der analogen UKW-Technik zeitnah überwinden und der Hörer wird schon bald mehr Hörfunk zuhause und unterwegs für sein Geld erleben können.
Verbreitungsgebiet für mobilen Empfang beim Start für das DAB+-Sendernetz, 64 dB(µV/m)