Musikarchiv Leipzig
Autor und Fotos: Peter Kaminski
Die Deutsche Nationalbibliothek hat die gesetzliche Aufgabe , alle deutschen und deutschsprachigen Medienwerke in Schrift, Bild und Ton zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Deutsche Musikarchiv übernimmt diese Aufgabe was die Sammlung von Musikalien und Tonträgern angeht und arbeitet als das musikbibliographische Informationszentrum Deutschlands. Von jedem in Deutschland publiziertem Buch, Zeitschrift und auch Tonträger erhält die Deutsche Nationalbibliothek zwei Belegexemplar.
Gegründet wurde das Musikarchiv 1970 in Berlin. Seit 2010 ist es nun am Leipziger Standort der Nationalbibliothek beheimatet. Mit dem vierten Erweiterungsbau wurden dort neue Magazinräume errichtet. Der Erweiterungsbau erstreckt sich über drei Unter- und vier Obergeschosse. Neu ist auch der Musiklesesaal sowie das komplett neu eingerichtetes Tonstudio.
Abhörmöglichkeiten
Auf das Archiv greifen sehr viele Studenten und Musikwissenschaftler zu aber auch Labels die auf der Suche nach Material sind, welches nicht mehr über den Handel verfügbar ist. Für das Abhören vor Ort stehen verschiedenste Möglichkeiten bereit. Einmal gibt es ein Vortragssaal für eine größere Hörergruppe. Hier stehen auch historische Abspielgeräte bereit.
Auf zwei Ebenen stehen in dem neuen Musik-Lesesaal (s. Foto unten) 18 Benutzerplätze bereit. Vier davon sind mit ausziehbaren Klaviertastaturen ausgestattet. Audiotechnisch sind sie sehr hochwertig ausgerüstet und zwar mit PCs mit einer RME Audiokarte vom Typ HDSP9632, Lake People HPA V100 Kopfhörerverstärker mit AKG K271 MKII und Sennheiser HD-650 Kopfhörer.
In der Hörkabine kann auch Tonmaterial in 5.1-Surround abgespielt werden (s. Foto unten).
Archiv
Um eine Vorstellung über die Archivgröße zu geben hier einmal ein paar Zahlen. Der Bestand des Musikarchivs wurde im Jahresbericht 2010 wie folgt angegeben: optische Medien (CDs, DVDs, SACDs) über 462.000, Vinyl-Platten und Kompaktkassetten 335.000 sowie ca. 163.000 historische Musiktonträger wie Schellackplatten, Walzen oder Klavierrollen.
Wir sprachen vor Ort in Leipzig mit Hinnerk Gehrckens aus der IT-Systementwicklung über die Strategie bei der Archivierung der gesammelten Medien.
Hinnerk Gehrckens dazu: "Vor zwei Jahren haben wir ein umfangreiches Projekt zur Tonträger-Migration gestartet. Als erstes werden die Audio CDs eingespielt und danach folgen vorraussichtlich die ca. 30.000 Audiokompaktkassetten sowie die Vinyl- und Schellack-Platten. Dazu kommt die Migration weiterer historisch wertvoller Tonträger in andere Formate. Das Migrationsprojekt soll bis ca. 2018 laufen. Bislang ist jedoch die Finanzierung ist noch nicht gesichert."
Das zentrale digitale Langzeitarchiv befindet sich am Standort Frankfurt. Die Arbeit wird also nicht nur lokal für das Musikarchiv in Leipzig gemacht sondern für das Langzeitarchiv der gesamten Nationalbibliothek mit einem Speichervolumen von vielen hundert Terabyte. Analoge Tonträger werden in einer Auflösung mit bis zu 96 kHz / 24 bit gespeichert. Aber hier ist noch nicht alles fixiert."
Das Deutsche Musikarchiv als Abteilung der Deutschen Nationalbibliothek beobachtet seit Jahren mit größter Sorge den zunehmenden Verfall ihrer CD-Sammlung, insbesondere der frühen Exemplare aus den 80iger Jahren. Der gesetzliche Auftrag der Deutschen Nationalbibliothek sämtliche in Deutschland veröffentlichten Medienwerke, hier in Form von Audio-CDs zu sammeln, auf Dauer zu sichern und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen, konnte in der Form der originalen Einzeltonträger nicht mehr gewährleistet werden. Als praktikable Lösung kam deshalb nur die Sicherung des Inhaltes auf Massenspeicher in Frage. Zudem ermöglicht dies auch eine deutlich verbesserte Bereitstellungs- und Benutzungssituation an dem Standort der Nationalbibliothek in Frankfurt und dem neuen Standort des Musikarchivs in Leipzig.
CD-Migration
Das Deutsche Musikarchiv entschied sich nach Prüfung der verschieden Optionen gegen eine Fremdvergabe und für die Anschaffung eigener CD-Einspielsysteme. Diese war wirtschaftlich die sinnvollste Lösung und hat auch logistisch den Vorteil, CDs nur innerhalb des Hauses transportieren zu müssen. Für das Einspielen des CD-Bestandes entschied sich das Deutsche Musikarchiv für das Produkt CD-Inspector, eine Roboterlösung des Bremer Archivspezialisten Cube-Tec International.
proaudio.de: Was hat denn zu der Systementscheidung geführt?
Hinnerk Gehrckens: "Bei der engeren Wahl am Ende des Entscheidungsprozesses kamen nur noch zwei Systeme in Frage. Die im Markt erhältliche CD-Ripper-Software fällt bei genauer Betrachtung schnell raus, wenn man berücksichtigt wie und was für Fehler detektiert werden. Für uns stand im Vordergrund Kenntnis über die genauen Fehler der CDs zu haben die ins Archiv überführt werden. Zum Test für die weitere Systemauswahl haben wir CDs präpariert und uns die detektierten Fehler genau angeschaut und das Ergebnis war, dass es zu dem Cube-Tec CD-Inspector eigentlich gar keine Alternative gab.
Bei den Tests hat sich auch noch herausgestellt, dass eine Korrelation zwischen der Art der detektierten Lesefehler und deren Hörbarkeit gibt. Cube-Tec hat daraufhin einen Algorithmus implementiert, der das Material nach bestimmten Kriterien sortiert und zwar nach hörbar und nicht hörbar. Im Zuge der weiteren CD-Migration soll dieses Verfahren noch weiter optimiert werden."
proaudio.de: Wer führt die Arbeitstätigkeiten zur Digitalisierung der CDs aus?
Hinnerk Gehrckens: "Das führen studentische Hilfskräfte durch wobei das Projekt von mir und einem weiteren Kollegen aus der IT-Abteilung betreut wird. Seit Anfang 2012 wird nun nach dem Umzug das Projekt hier in Leipzig weitergeführt. Was die Leistungsfähigkeit des Systems angeht ist es so, dass das System über Nacht 500 CDs einspielen und so die geforderte Menge problemlos abgearbeitet werden kann. So lassen sich also ca. 100.000 CDs pro Jahr einlesen. Es sind also vier bis fünf Jahre Arbeit für die komplette Migration der CD-Bestände eingeplant. Man darf auch die zusätzlichen Arbeiten nicht unterschätzen denn das Ganze ist nebenbei auch eine Inventur des CD-Bestandes."
proaudio.de: Wie hoch ist denn die Fehlerquote bei den archivierten CDs?
Hinnerk Gehrckens: "Die Anzahl der CDs, die nach dem ersten Einlesevorgang als fehlerhaft markiert wurden (Lesefehler und andere Fehler) lag bei den besonders kritischen Jahrgängen 1983 bis 1985 bei etwa fünf Prozent. Bei einem Großteil dieser CDs liegen jedoch z. B. korrigierbare Fehler bei der Erfassung vor. Andere CDs lassen sich nach einer Reinigung oder auf den von Cube-Tec gelieferten alternativen CD-Laufwerken fehlerfrei einlesen. Diese Nachbearbeitung ist für die bisher eingelesenen 17.000 CDs noch nicht ganz abgeschlossen, es zeichnet sich jedoch ab, dass die Zahl der tatsächlich nicht migrierbaren CDs unter einem Prozent liegen wird."
Studios
Im Rahmen des Studioneubaus in Leipzig durch die Firma Salzbrenner Stagetec hat Cube-Tec ein QUADRIGA System installiert. Zum Lieferumfang gehören neben einer QUADRIGA mit 4 Import Modulen eine Restaurationsworkstation und eine kundenspezifische Eingabemaske. Es können bis zu vier Zuspielgeräte gleichzeitig für die Digitalisierung von Archivbeständen aus der deutschen Nationalbibliothek verwendet werden. Die Einspielgeräte stehen verteilt in einem Studio mit Stagetec AURUS-Mischpult mit NEXUS-Kreuzschiene und hochwertiger 5.1-Abhöreinrichtung und einem zweiten Einspiel-Studio.
[Von links nach rechts: Torsten Ahl und Hinnerk Gehrckens vom Deutschen Musikarchiv sowie Tom Lorenz von Cube-Tec International]
Früher hatte das Musikarchiv ein Studio in Berlin. Dieses analoge Equipment wird nun im Umschnittstudio (s. Abb. unten) genutzt. Das Studio in Leipzig wurde, bis auf Abspielgeräte wie die EMT Schallplattenspieler, oder die Studer Bandmaschinen, die auch aus Berlin stammen, neu aufgebaut.
Wir sprachen mit Torsten Ahl, der im Tonstudio für Überspielungen und auch die Restauration verantwortlich ist: "Größtenteils bekommen wir Aufträge von Benutzer des Musikarchivs. Wir versuchen die Überspielung so gut durchzuführen, dass eine zusätzliche Bearbeitung nicht erforderlich wird, aber z. B. stark knisternde Platten werden auch nachbearbeitet. Der Austausch an die Nutzer erfolgt über Compact Disk. Was die Echtzeitausgabe angeht haben wir bis das neue Bereitstellungssystem in Betrieb geht noch ein anderes System im Einsatz, welches CD-Images erzeugt, die sich direkt abspielen lassen.
Wir haben hier auf einer AudioCube-Workstation der Firma Cube-Tec neben der QUADRIGA auch Restaurationswerkzeuge im Einsatz. Der Rechner ist übrigens mit besonders viel Speicher in einer RAID-Konfiguration, ausgestattet um lokal hier die aktuellen Digitalisierungen vorhalten und ggf. nochmals weiter bearbeiten zu können. Was Restaurationswerkzeuge angeht hoffen wir auf weitere Produkte um in Zukunft noch flexibler sein zu können. Besonders wünschenswert wäre es, wenn wir im Bereich Videotechnik noch für die Digitalisierung einiges bekommen könnten. Es stehen ja auch irgendwann die Blu-ray Discs zur Migration an und die sind genauso gefährdet wie die Audio-CDs."
Hinnerk Gehrckens ergänzte noch: "Im Vergleich sind Vinyl-Schallplatten ein vergleichsweise robuster Tonträger. Anders sieht es da bei Schellackplatten aus die Alterungsprozessen unterliegen."
proaudio.de: Wie sieht es denn mit der Vernetzung aus?
Torsten Ahl: "Wir haben hier eine Nexus-Kreuzschine im Einsatz die sehr flexible Möglichkeiten bietet. Während ich im Umschnittstudio digitalisiere und restauriere kann ich z. B. parallel Daten an die QUADRIGA im Studio mit 96-kHz-Abtastrate überspielen – um mal ein Beispiel zu nennen. Es gibt Dank der Nexus-Kreuzschine viele Möglichkeiten. Über die Vernetzung ist auch die Hörkabine angebunden. Angedacht ist auch, das wir den Vortragssaal anbinden. Dies ist bereits vorbereitet."
Erfassung der Metadaten
Zur Metadatenerfassung sagte uns Hinnerk Gehrckens: "Eine große Verbesserung gegen über der technischen Infrastruktur in Berlin ist, dass wir durch die Software von Cube-Tec die Digitalisierungen die Herr Ahl hier durchführt auch gleich ins Langzeitarchiv übernehmen können, da nun alle erforderlichen Metadaten erfasst werden können. Bei den frühren Digitalisierungen in Berlin hätten diese Metadaten separat noch einmal nacherfasst werden müssen. Nun ist alles in einem Arbeitsschritt möglich. Wenn also eine Benutzeranfrage kommt und das Material digitalisiert wird steht das Material danach im Langzeitarchiv zur Verfügung und kann ohne einen langwierigen Bestellprozess im Lesesaal per Mausklick abgerufen werden.
Für die Erfassung aller relevanten Metadaten gibt es eine eigene Eingabemaske, die sich über drei Seiten erstreckt. Aus historischen Gründen benutzt das Musikarchiv einen eigenen Identifier, der erst einmal übersetzt werden muss. Über die Eingabemaske wird dieser hausinterne Identifier zunächst über eine Datenbankschnittstelle abgefragt. Für die spätere Benutzung sind die Track-Positionen wichtig die in der QUADRIGA Software gesetzt wurden. Des Weiteren können die Beschreibungsdaten zum Originaltonträger detailliert eingegeben werden, wie Medientyp, Durchmesser, Material, Bandsorte, Abspielgeschwindigkeit etc.
Die angezeigten Eingabeparameter in der Webbrowser-basierte Eingabemaske passen sich dabei an den jeweiligen Medientyp an. Es gibt da ja bei uns verschiedenste Tonträger bis hin zu Exoten wie Tonwalzen und Tondraht. Des Weiteren wird der Digitalisierungsprozess mit Parametern wie Plattenspielertyp, Nadel, Abspielgeschwindigkeit, Wandler, Abtastrate usw. erfasst. Über Presets lassen sich typische Voreinstellungen in der Eingabemaske direkt aufrufen. Das Eingabeformat folgt dabei der AES57-2011 dem neuen Metadaten-Standard der Audio Engineering Society.
Diese Daten werden als XML-Datei abgelegt und werden mit archiviert. Zurzeit unterstützt unser Katalogsystem den Zugriff auf diese zusätzlichen Daten noch nicht. Es ist einer der nächsten Schritte diese Metadaten auch den Nutzern zugänglich zu machen."