IP in der Broadcast-Landschaft
Wo geht die Reise hin und wo stehen wir?
Autor: Anke Schneider (2WCOM)
Der Übertragungsweg IP bietet Rundfunkanstalten deutlich mehr Flexibilität für die Transmission von Inhalten. Mit diesem Hintergrund setzen einige Rundfunksender und Tonstudios schon voll auf Livestreams, andere halten an der bisher eingesetzten Technik fest und beobachten. Wir haben uns natürlich gefragt, warum das so ist. Hierfür gibt es drei zentrale Gründe, die wir hier einmal aufzeigen möchten.
Bei den meisten Rundfunkanstalten funktioniert die bis dato eingesetzte Technik nach wie vor. Es besteht keine akute Notwendigkeit, Geld in die Hand zu nehmen und neues Equipment zu beschaffen. Der Ausbau des Breitband- und Glasfasernetzes in Deutschland ist immer noch nicht abgeschlossen. Das heißt, die Transmission via IP ist nicht flächendeckend möglich. Auch ist es fraglich, ob dies zukünftig realisiert werden kann.Bis vor kurzem war es schlicht und einfach schwer vorstellbar, dass IP auch über DSL funktionieren kann.
Kleinere Tonstudios oder auch junge Radiosender hingegen sind absolute Vorreiter, da der Übertragungsweg IP deutlich kosteneffizienter ist. Im Vergleich hierzu werden für eine halbwegs ordentliche Übertragungsqualität via Ethernet mindestens zwei Anschlüsse a 256 kBit/s gebraucht. Im Falle von jungen Radiosendern ist neben dem Kostenfaktor zu erwähnen, dass diese per IP-Streaming über Facebook, YouTube etc. ihre Zielgruppe optimal erreichen.
Die Skepsis ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Implementierung von IP als zentrales Übertragungsmedium erhebliche Veränderungen in Hinblick auf gelebte Prozesse und etablierte Strukturen mit sich bringt. Es entstehen nicht einfach nur Kosten, da altes Equipment gegen neues ausgetauscht wird, sondern die ganze Übertragungskette muss angefasst und neu aufgebaut werden – vom Studio bis zum Transmitter. Somit ist es nur verständlich, dass dieses heiße „Projekt-Eisen“ nur zögerlich angefasst wird.
Gründe für die Umstellung auf IP
Warum sollte man sich trotzdem mit dem Gedanken anfreunden, IP für die Transmission von Broadcast Inhalten zu nutzen? Zum einen werden alte ISDN-Anschlüsse von den Providern aufgekündigt, was einen Umstieg auf IP zum Beispiel auch für größere Tonstudios unausweichlich macht. Zum anderen hat sich die Mediennutzung der Endkunden erheblich verändert. Über Internet-Kanäle werden nicht nur Video-, sondern auch Audio-Anwendungen, insbesondere durch die junge Zielgruppe, intensiv genutzt. Die vollständige Digitalisierung der TV-Märkte schreitet deutlich schneller voran. Insbesondere der Zugang zu OTT-TV-Geräten ist gestiegen und erreicht nun einen Wert von über 80 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre.
Ob proaktiv oder reaktiv. Wir befinden uns momentan in einer Übergangszeit, in der etabliertes ISDN-, SAT- oder FM-Broadcast-Equipment nach wie vor im Einsatz ist. Aber perspektivisch wird die Transmission via IP in die bestehenden Strukturen von Rundfunkanstalten und Tonstudios aufgenommen werden, und zwar aus drei guten Gründen: Optimierte Kosteneffizienz, verbesserte Zielgruppenorientierung und Anpassung an eine sich ändernde technischen Infrastruktur. Aufgrund der bereits erwähnten nicht flächendeckend gegebenen Verfügbarkeit von IP sind mindestens interimsweise hybride Lösungen gefragt. Diese Lösungen sollten zum Encodieren, für die Übermittlung und zum Decodieren neben IP parallel auch terrestrische und/oder Satelliten-Sendetechnik beinhalten sowie ein möglichst breites Spektrum an bekannten Codec-Algorithmen unterstützen.
Nischenlösungen der unterschiedlichsten Couleur sind bereits für hybride Übertragungsmöglichkeiten etabliert. Einige französische Radiosender, die in den letzten Jahren von DVB-S auf DVB-S2 umgestellt haben, nutzen neben Satellit für die Verbreitung auch IP, um immer die beste verfügbare Signalquelle nutzen zu können. In Norwegen wird das DAB+-Signal zum Beispiel über eine E1-Leitung zum Uplink-Standort transportiert, dann in ein EDI-Signal konvertiert, um in einen generischen Strom eingebunden und über Satellit in entlegene Gegenden gesendet zu werden, die nicht über Breitband- und Glasfasernetze erreicht werden können.
Chancen, Nutzen und Hindernisse nicht überbewerten
Für viele Spezialanwendungen bietet IP eindeutig Vorteile. Bei der Audiodeskription, die blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen soll, visuelle Vorgänge eines Video-Beitrags akustisch nachverfolgen zu können, sind kurze Verzögerungszeiten in der Signalübertragung ungemein wichtig. Dies kann mit dem Codec-Algorithmus PCM erreicht werden, der wiederum von IP-basierten Audio-Netzwerken unterstützt wird.
Durch objektbasiertes Audio werden dem Endnutzer ergänzend Möglichkeiten angeboten. Eine Person mit eingeschränktem Hörvermögen hat mit dieser Technologie die Chance, zum Beispiel durch die Reduktion der Hintergrundgeräusche, den Sprecher besser hören zu können. Eine Sendung kann somit genau auf die eignen Bedürfnisse eingestellt werden.
Einen Schritt weiter gehen die Second-Screen-Applikationen für HbbTV2, die zum Beispiel im Rahmen der Medientage 2017 in München auf dem Stand des Instituts für Rundfunktechnik (IRT) vorgestellt wurden. Verschiedenste Endgeräte lassen sich mit dem Fernseher verbinden, um das Audiosignal einer Sendung zu individualisieren. Beiträge können in der eigenen Muttersprache gehört werden. Es besteht die Möglichkeit, zusätzlich bereinigte Tonfassungen (Clean Audio) anzubieten. Über eine mit dem Smart TV verbundene Augmented-Reality-Brille lässt sich in das Blickfeld eines schwerhörigen oder gehörlosen Zuschauers ein virtueller Gebärdensprecher zeitsynchron einblenden. Für den Endkunden bieten diese über IP realisier- und nutzbaren Ansätze also durchaus komfortable Lösungen.
Aber nicht nur der private Endnutzer kann profitieren. Es wird auch das Konzept der trimedialen Arbeitsweise unterstützt, das viele Rundfunkanstalten derzeit nach und nach in ihre operativen Prozesse aufnehmen. Für die Realisierung dieses Modells müssen die unterschiedlichen journalistischen Techniken, Produktionsverfahren und Übertragungswege miteinander harmonisiert werden. Wir haben uns daher im Folgenden einmal angeschaut, was das konkret bedeutet. Aber vorab, warum ist Trimedialität überhaupt ein Thema?
- Zielgruppenorientierung: Die jüngere Generation möchte nicht nur Töne, sondern auch Bild bzw. Video und dies bitte nicht nur stationär, sondern auch mobil. Insbesondere die Rundfunksender wollen neben der Stammhörerschaft diese junge, dynamische Zielgruppe für sich gewinnen. Grundsätzlich geht es darum, jedem Personenkreis das Medium anbieten zu können, dass er zum Hören und/oder Sehen von Beiträgen nutzen möchte.
- Kosten- und Zeiteffizienz: Indem ein Beitrag als medienübergreifendes Projekt behandelt wird, müssen die Bereiche TV, Radio und Internet nicht mehr getrennt produzieren. Dadurch können Ressourcen insgesamt besser genutzt werden und die Bereiche wachsen enger zusammen.
- Wertschöpfungskette erweitern und Interaktion erreichen: Durch die Ausstrahlung über alle Medien wird der produzierte Inhalt nicht mehr nur singulär bereitgestellt. Dadurch können Hörfunk, TV sowie Online aufeinander verweisen. Im Ergebnis wird für jedes Medium eine deutlich höhere Reichweite erreicht und es bietet sich die Chance auf Interaktion mit dem Kunden, durch die Einbindung von Sozialen-Netzwerken. Auch können so neue Vermarktungsformate für die Platzierung von Werbung entstehen.