Zukünftige Frequenz-Ressourcen für Drahtlos-Audiosysteme
Stehen uns weitere Einschneidungen bei der Frequenzzuteilung bevor?
Auf der World Radiocommunication Conference 2012 kam überraschend ein Vorschlag auf, Teile des Rundfunkbereichs zukünftig dem Mobilfunk zuzuweisen. Kommt nach der sogenannten Digitalen Dividende nun die nächste Einschneidung für Drahtlosmikrofon- und In-Ear-Systeme?
Hierüber hat proaudio.de Redakteur Peter Kaminski mit Jochen Mezger, Leiter des Geschäftsfeldes Programmverbreitung am Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München, gesprochen. Die Programmverbreitung am IRT beschäftigt sich unter anderem mit neuen Technologien des Rundfunks, insbesondere des terrestrischen Rundfunks, einschließlich der zugehörigen Frequenz- und Regulierungsthemen. Herr Mezger ist Vorsitzender der Arbeitsgruppen Frequenzmanagement und Reportagefrequenzen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
proaudio.de: Es geht ja primär in unserem Gespräch über den Frequenzbereich 694 bis 790 MHz. Was ist denn eigentlich auf der letzten Weltfunkkonferenz (WRC) in Genf genau passiert?
Jochen Mezger: Das was dort behandelt wurde kam wirklich sehr überraschend und stand auch nicht auf der Tagesordnung, was sehr ungewöhnlich für die WRC ist. Diese Konferenz findet alle vier Jahre statt und es sind ja entsprechende Vorbereitungen und Abstimmungen zu treffen. Afrikanische und Arabische Staaten hatten relativ spontan eingebracht, dass die Frequenzzuteilungen für Mobildienste u.a. im 800-MHz-Bereich (LTE) nicht ausreichend seien, weil viele afrikanische Staaten dort auch andere Nutzungen haben. Die afrikanischen Staaten haben auf eine schnelle Lösung gepocht. Es gab einen arabischen Vorsitzenden, der die Einbringung des Themas unterstützt hat. Da Afrika und die arabischen Länder in der ITU (Internationale Fernmeldeunion) Region 1 mehr Länder haben als Europa, drohte ein Mehrheitsbeschluss per Abstimmung mit sofortiger Zuweisung.Man hat sich zum Glück nicht auf eine sofortige Zuweisung geeinigt, sondern man hat sich entschlossen, mit Ablauf der nächsten Weltfunkkonferenz 2015 den Bereich 694 bis 790 MHz in der Region 1 koprimär dem Rundfunk und Mobilfunk zuzuweisen und es sollen bis dahin Studien über die Verträglichkeit von Mobilfunk und Rundfunk erarbeitet werden.
proaudio.de: Was bedeutet koprimär in diesem Zusammenhang?
Co-primär heißt formal, dass jedes Land für sich entscheiden könnte, ob der Bereich dem Rundfunk oder Mobilfunk zugewiesen wird. Das ist aber nur theoretisch denn gerade in Mitteleuropa muss es natürlich auch länderübergreifend koordiniert werden, denn die Funkwellen machen ja nicht halt vor politischen Grenzen. Im Rahmen dieser europäischen Regulierung gibt es eine CEPT-Arbeitsgruppe, die TG 6, die sich nun grundsätzlich mit der Frage beschäftigt, wie man mit dem UHF-Band zukünftig umgeht. Bis Mitte 2014 wird hierzu ein Bericht von der Arbeitsgruppe erstellt.
proaudio.de: Und gibt es denn da schon Tendenzen abzusehen? Es gibt ja z. B. ein Dokument zur Vorbereitung der WRC-15 von der Telekom, wo dieser Frequenzbedarf vom Mobilfunk ja konkret unterstrichen wird.
Jochen Mezger: Es gab eine Umfrage innerhalb der internationalen Fernmeldeunion (ITU) und nur ein europäisches Land hat sich direkt für den Mobilfunk in diesem Frequenzsegment ausgesprochen. Alle anderen sagten, dass man den Bedarf erst prüfen müsse. Es gab einen Konsultationsentwurf der Bundesnetzagentur und der Tenor der Mobilfunkseite war der,, dass man den Bereich nicht sofort benötigt, zukünftig aber schon. Zurzeit ist man frequenzmäßig was die Mobilfunkdienste angeht wohl gut ausgestattet. Es sind also eher perspektivische Aussagen. Vielleicht fürchtet man auch eine zu schnelle Versteigerung des genannten Frequenzsegmentes denn dieses Geld stünde dann nicht mehr für den Netzausbau bereit. Zudem ist es so, dass 2016 ja die GSM-Lizenzen (900 und 1.800 MHz) enden und 2020 laufen dann die UMTS-Lizenzen aus. Auch diese Frequenzbereiche müssen für zukünftige Versteigerungen berücksichtigt werden.
proaudio.de: Wie sieht es denn mit dem Frequenzbedarf des Rundfunks bezogen auf die Modernisierung von DVB-T aus?
Jochen Mezger: Es ist ja laut Intendanten-Beschluss die Entscheidung gefallen, ab 2017 DVB-T2 einzuführen – also den Nachfolger des digitalen terrestrischen TV. Der Rundfunk benötigt definitiv das 700-MHz-Band für die Einführung, denn die Umstellung soll ja im Simulcast-Betrieb erfolgen. Es erfolgt keine harte Umstellung sondern DVB-T und DVB-T2 werden zunächst voraussichtlich bis 2020 parallel betrieben, was eben einen höheren Frequenzbedarf zur Folge hat. Für die Zeit danach empfehlen wir für diesen Frequenzbereich jetzt einen kooperativen Ansatz zu entwickeln, bei dem lineare (Broadcast) und nicht-lineare Nutzungen (On demand) kombiniert werden, um die Bedürfnisse der zukünftigen Mediennutzer umfassend bedienen zu können. Der regulatorische „koprimäre“ Status prädestiniert dieses Band ja geradezu hierfür. Eine simple Zuweisung in gewohnter Art und Weise an den Mobilfunk ließe diese einmalige Chance ungenutzt verstreichen.
Hier hängt vieles auch von der Koordinierung mit dem umliegenden Ausland ab. Wir haben ja heute noch nicht mal eine vollständige, länderübergreifende Regulierung für das 800-MHz-Segment – insbesondere mit den Niederlanden und Belgien. Ein Unterschied zum 800-MHz-Band ist aber auch noch, dass das 700-MHz-Band massiv in Benutzung ist. Da war die Umstellung des 800-MHz-Bandes im Rahmen der digitalen Dividende noch relativ einfach. Zudem gibt es auch Länder die mehr von einer Umstellung betroffen wären als andere und das gilt es erst mal zu koordinieren. In Österreich gibt es z. B. DVB-T2 Frequenzzuteilungen bis 2023 und bald weitere bis 2026 und das einschließlich des 700-MHz-Bereichs. Das würde bedeuten, dass sowieso in weiten Teilen von Deutschland dieser Bereich für den Mobilfunk gar nicht nutzbar wäre.
Bisherige Frequenzzuweisung - der rot markierte Bereich steht zur Diskussion (s. Abb. oben)
proaudio.de: Zum Thema DVB-T2 noch eine Frage. Braucht man in Zukunft denn überhaupt einen terrestrischen Rundfunk oder werden die Rundfunkinhalte in Zukunft nicht vielmehr über den Mobilfunk verbreitet?
Jochen Mezger: Das ist ein Thema was wir uns sehr genau anschauen und eine sehr berechtigte Frage. Besonders die On-Demand-Dienste werden zunehmen, die nicht über Broadcast-Netze sondern über Kommunikationsnetze übertragen werden. Es zeichnet sich ab, dass Rundfunknetze für die portable / mobile Massenverbreitung insbesondere in dichter besiedelten Regionen am ökonomischsten sind. Welche Technik dafür eingesetzt wird ist eine andere Frage. Allerdings sind die auf Mobilfunktechnik basierende Lösungen, wie z. B. Broadcast-Modi innerhalb der Mobilfunkstandards, noch nicht so weit ausgereift, dass sie für eine klassische Rundfunkanwendung tauglich sind. DVB-T2 ist da deutlich ausgereifter. Für die übernächste Generation denkt man in der Tat auch über andere Lösungen nach, wie z. B. die Integration in zukünftige Mobilfunkstandards. Das würde auch neue Chancen für den Rundfunk eröffnen, da man hier ja ggf. einen weltweiten Standard schaffen kann.
proaudio.de: Das Ganze ist natürlich auch eine politische Entscheidung. Was tut sich den im politischen Umfeld bezüglich einer Mobilfunknutzung des 700-MHz-Bereichs?
Jochen Mezger: Es ist hier noch nichts entschieden. Man hat Gremien und Gesprächsforen eingerichtet. Ganz konkret hat das Wirtschaftsministerium die Bund/Länder AG eingerichtet. Dort diskutieren Bund, Länder, Bundeswirtschaftsministerium, Bundesnetzagentur und die Interessenvertreter wie Rundfunk, Veranstalter, Mobilfunk aber und auch Militär und Innenministerien, denn auch von deren Seiten besteht Interesse (digital behördlicher Funk) an einem Teil des UHF-Spektrums. Die Bundesnetzagentur hat übrigens in einem Entwurf vorgeschlagen, die 700-MHz-Frequenzen frühzeitig mit den GSM-Frequenzen zu versteigern. Da spielen natürlich auch finanzielle Erwägungen eine Rolle. Man wird sehen wie sich das entwickelt.
proaudio.de: Die Situation macht es natürlich auch schwierig, richtige Kaufentscheidungen zu treffen, bzw. den richtigen Weg einzuschlagen. Weiter stellt sich natürlich die Frage was für adäquate Alternativlösungen überhaupt angeboten werden könnten.
Jochen Mezger: Ja absolut. Aus Sicht des Rundfunks muss man sagen, dass natürlich zwei Herzen in unserer Brust schlagen, denn wir sind ja nicht nur Distributor über DVB-T/DVB-T2 in dem Frequenzbereich um den es geht, sondern auch als Kontributor, also Ersteller von Inhalten und setzen dafür eine hohe Zahl von Drahtlossystemen für die Beitragserstellung ein. Dafür braucht man auch ein zuverlässiges Spektrum. Mit Wegfall des 800-MHz-Bereiches wurden die Ressourcen für die Anwendung von Drahtlosmikrofonen ja bereits verringert. Wenn wir dann auch noch das 700-MHz-Band verlieren, dann können wir die Lücken zwischen den DVB-T/T2-Sendern auch nicht mehr für Drahtlosanwendungen nutzen. Wir haben einmal eine hypothetische Bedarfsstudie am Beispiel des Eurovision Song Contest 2011 erstellt und das Ergebnis war so, dass wir ohne das 700-MHz-Band den Frequenzbedarf nicht mehr abdecken könnten. Und unsere Kollegen von der BBC haben uns auch gesagt, dass sie ohne das 700-MHz-Segment bei der Berichterstattung im Rahmen der Olympischen Spiele in London Probleme bekommen hätten. Muss man sehen, dass man hierfür eine Lösung findet, denn diese potentiellen Probleme gelten für viele Großveranstaltungen.
Vorgeschlagene Ersatzlösungen in den bisherigen Diskussionen konnten uns nicht überzeugen. Auch die Nutzung der Mittenlücke in den LTE-Bändern ist hier nach unserer Einschätzung keine alleinige Lösung. Wir haben im UHF-Bereich einmal Messungen in der LTE-Lücke gemacht und es ist so, dass auch Nebenausstrahlungen von LTE in diesen Bereich fallen und es zu Interferenzen mit Drahtlosanlagen kommen kann. Diese Lösung stellt also auch keinen vergleichbaren Ersatz dar.
proaudio.de: Die Frage ist natürlich was geschieht mit den Anwendern. Die Zeiten, wo man über Jahrzehnte planen konnte, scheinen vorbei zu sein.
Jochen Mezger: Bei der Räumung des 800-MHz-Bandes gab es ja eine Kompensationsregelung, aber die war sehr bürokratisch und nicht für Alle nutzbar. Theater nutzen z. B. ihre Anlagen deutlich über die Abschreibungszeiträume hinweg und konnten dann von keiner Kompensationszahlung profitieren und gerade in diesem Anwendungssegment stehen auch keine Gelder für ständige Neuanschaffungen bereit. Wenn der 700-MHz-Bereich wegfallen würde, wären besonders die professionellen Benutzer wie Verleiher etc. davon betroffen. Das ganze Segment was zurzeit für diese Benutzergruppe zugewiesen ist, würde dann ja wegfallen.
proaudio.de: Ja ein Fazit wäre also sicherlich schon jetzt bei der Anschaffung von Drahtlossystemen für den Einsatz bei Festinstallationen und für professionelle Anwendungen auf möglichst große Schaltbandbreite zu setzen, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Was würden Sie als vorläufiges Fazit ziehen?
Jochen Mezger: Die Signale die von dem Mobilfunk kommen sind so, dass es so furchtbar knapp an Frequenzen im Moment nicht ist. Man hat also sicherlich genügend Zeit eine vernünftige langfristige Lösung zu finden. Es besteht daher kein Grund in Panik zu verfallen und da es in Deutschland zu der DVB-T2 Einführung kommt, sind die Frequenzlücken um 700 MHz noch einige Zeitweiter verfügbar.