Dear Reality MIYA

Distortion oder besser gesagt: Re-Synthese der kreativen Art

Autor: Peter Kaminski

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Dear Reality ist ja bekannt durch seine Software und Plug-Ins im Bereich Immersive Audio und themenverbunden auch im Bereich Hall/Raumsimulation. Zur SuperBooth im Mai 2023 präsentierte der Hersteller aus Düsseldorf - und das dürfte kein Zufall gewesen sein - mit MIYA ein Plug-In weit außerhalb dieses Themenbereichs. MIYA könnte man bei erster, grober Betrachtung als ein Distortion-Plug-In bezeichnen, aber mit einem ganz anderem, technischen Konzept als herkömmliche Verzerrer.

Voraussetzung und Installation

Das Plug-In wird für Windows (ab Windows 10) und macOS (ab 10.12, Intel oder Apple Silicon CPUs) angeboten und zwar in den Plug-In-Formaten VST3 und AAX sowie AU (macOS). 

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Die Installation erfolgt über den bei Dear Reality-Produkten bekannten Installer (s. Abb. oben) mit dem sich gezielt bestimmte Plug-In-Formate installieren lassen. Die Lizenzierung erfolgt über einen Freischaltungscode, der nach der Installation und dem ersten Aufrufen des Produktes einzugeben ist. Als Abtastraten werden 22.05, 44.1, 48, 88.2, 96, 176.4 und 192 kHz unterstützt.

Konzept

Verzerrer arbeiten unter anderem so, dass zum Beispiel Verstärkerstufen stark übersteuert werden oder man den Arbeitspunkt auf der Kennlinie aus dem üblichen Arbeitsbereich deutlich heraus verschiebt. Dadurch werden zusätzliche Obertonanteile erzeugt. Obertonanteile erzeugt auch MIYA, aber dazu werden die Nulldurchgänge über eine Analyse detektiert und die Wellenform zwischen diesen Punkten resynthetisiert. Durch variable Parameter bei der Synthese ergeben sich klangliche Einflussmöglichkeiten. Über einen Pegel-Schwellwert kann man dem Plug-In als Anwender mitteilen, ab wann eine Veränderung des Originalsignals erfolgen soll. Das einmal grob zur Arbeitsweise von MIYA.

Bedienung

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Es gibt neben der Darstellung mit der Zeitbereichsdarstellung der Wellenformen der beiden Audiokanäle (s. Abb. am Artikelbeginn) auch die Möglichkeit diese zu deaktivieren (s. Abb. hier oben).

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Bei der Wellenformdarstellung sieht man auch durch die vertikalen gelben Linien die von der Analyse detektierten Nulldurchgänge (s. Abb. oben).

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Im Kopf des Plug-Ins kann der Anwender auch eine kleine Anzahl von Werks-Presets aufrufen und natürlich auch eigene speichern.

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Die Bedienung ist in drei Parametersektionen aufgeteilt und zwar Analyse, Synthese/Filter und Ausgangsmixer. Bei der Analyse kann man einstellen, was bei Analyse ignoriert werden soll und zwar einmal die Anzahl der Nulldurchgänge oder die minimale Länge zwischen den Nulldurchgängen.

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Im Synthesesegment lassen sich die Pegelanteile der generierten ersten fünf Obertöne einstellen und mit DUTY CYCLE die Länge der Wavelets. Mit dem Gate-Schwellwert stellt man ein, ab welchen Pegel denn Wavelets generiert werden. Die Parameter  THRESHOLD und BOOST haben zusammen eine Wirkung. Wavelets ab dem eingestellten Schwellwert werden um den Betrag bei BOOST angehoben. Am Ende der Verarbeitungskette (also vor dem Regler DRY/WET im WET-Pfad) gibt es je ein in der Frequenz einstellbares Tief- und Hochpass-Filter.  

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In der Ausgangssektion lässt sich dann das Verhältnis Effektsignal/Originalsignal einstellen und es gibt zudem auch eine Bargrafanzeige, die grob auf den Ausgangspegel schließen lässt.

Praxis

Wir haben die VST3-Version 1.01 des MIYA auf einer Nuendo 12 DAW unter Windows 10 getestet. Die CPU-Resourcen-Nutzung ist gering. Die Plug-In-Latenz betrug in unserem System allerdings 96 Millisekunden. Das ist schon ein hohger Wert aber ohne diese Latenz lässt sich das Signal nicht über den gesamten Hörbereich analysieren. Gegebenenfalls muss man ohne das Plug-In einspielen und es im Mix beim reinen Play-Betrieb verwenden.

Die simple Bezeichnung Distortion-Plug-In beschreibt die Funktion eigentlich nur sehr ungenügend, denn das Plug-In geht über übliche Verzerrer-Möglichkeiten durch sein Re-Synthesekonzept deutlich hinaus. Die Variationsmöglichkeiten sind trotz der wenigen Parameter extrem groß. Abgesehen von den Einstellungen der Pegel der Harmonischen haben besonders SKIP und DUTY CYCLE Einfluss auf den Klang, wie auch MIN. LENGTH in der Analysesektion. MIN. LENGTH generiert bei größeren Werten einen neuen tonalen Charakter des Eingangssignals. Besonders gut für die Bearbeitung mit MIYA sind jegliche Synthesizer-Sounds, besonders basslastige oder perkussive, bzw. Drum- und Percussion-Sounds. Aber auch kräftige Synthi-Klänge kann man nochmal mehr Schärfe, bzw. Härte verleihen. Für E-Gitarre ist MIYA weniger geeignet. Da ist man mit den klassischen Verzerrerkonzepten besser bedient. 

Auf eine gute Dosierung kommt es an. Bei vielen Plug-Ins steht der Wet-Regler ja gerne mal bei konstant auf 50 Prozent. Bei MIYA sollte man dem DRY/WET-Regler entsprechende Aufmerksamkeit widmen, denn auch hier ist noch ein Potential für eine differenzierte Klangvielfalt gegeben. Auch mit den beiden Filtern im Bearbeitungspfad sollte man mal herumprobieren.

Fazit

Der Preis liegt bei knapp unter 60 Euro. Mit der Re-Synthese bietet MIYA eine unglaubliche Klangvielfalt. MIYA bietet Alleinstellungsmerkmale. Ich kenne kein Plug-In mit ähnlichem Ansatz oder Klangresultaten. Die Sounds die aus der Bearbeitung mit MIYA entstehen sind häufig unter Umständen weit vom Original entfernt und das Plug-In hat daher ein großes Kreativ- und Klang-Potential. Synthesizer-Freaks sollten das Plug-In unbedingt einmal ausprobieren.

www.dear-reality.com